Industrie und Industrialisierung 1. Epochen der
Kapitalistenklasse (Bourgeoisie) 1.1. Bürger der
mittelalterlichen Handwerkerstadt (ca.
1000–1500) „Aus den Leibeigenen
des Mittelalters gingen die Pfahlbürger der ersten Städte hervor; aus
dieser Pfahlbürgerschaft entwickelten sich die ersten Elemente der
Bourgeoisie.“ K. Marx,
Kommunistisches Manifest, MEW 4, 463. „Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen sehr geringen Volksbestandteil, der in seiner Stellung stark beschützt war durch die selbständige Bauernwirtschaft auf dem Land und die Zunftorganisation der Stadt. In Land und Stadt standen sich Meister und Arbeiter sozial nahe.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 766. 1.2. Entwicklung des
Weltmarktes und „Die Entdeckung
Amerikas, die Umschiffung Afrikas schufen der aufkommenden Bourgeoisie ein
neues Terrain. Der ostindische und chinesische Markt, die Kolonisierung
von Amerika, der Austausch mit den Kolonien, die Vermehrung der
Tauschmittel und der Waren überhaupt gaben dem Handel, der Schifffahrt,
der Industrie einen nie gekannten Aufschwung und damit dem revolutionären
Element in der zerfallenden feudalen Gesellschaft eine rasche
Entwicklung. Die bisherige feudale
oder zünftige Betriebsweise der Industrie reichte nicht mehr aus für den
mit den neuen Märkten anwachsenden Bedarf. Die Manufaktur trat an ihre
Stelle. Die Zunftmeister wurden verdrängt durch den industriellen Mittelstand; die Teilung der Arbeit zwischen den verschiedenen Korporationen verschwand vor der Teilung der Arbeit in der einzelnen Werkstatt selbst.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 463. „Die Entdeckung der
Gold- und Silberländer in (Süd- und Mittel-)Amerika, die
Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die
Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die
Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute
bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese ...
Prozesse sind Hauptelemente der ursprünglichen Akkumulation (d.
h. der erstmaligen Anhäufung von großem Kapital).“ K. Marx, Kapital I,
MEW 23, 779. Siehe auch den
Artikel: Ursprüngliche
Akkumulation „Die plötzliche
Ausdehnung des Weltmarkts, die Vervielfältigung der umlaufenden Waren, der
Wetteifer unter den europäischen Nationen, sich der asiatischen Produkte
und der südamerikanischen Schätze zu bemächtigen, das
Kolonialsystem, trugen wesentlich bei zur Sprengung der feudalen Schranken
der Produktion. ... Und wenn im 16. und
zum Teil noch im 17. Jahrhundert die plötzliche Ausdehnung des Handels und
die Schöpfung eines neuen Weltmarkts einen überwiegenden Einfluss auf den
Untergang der alten und den Aufschwung der kapitalistischen
Produktionsweise ausübten, so geschah dies umgekehrt auf Basis der einmal
geschaffenen kapitalistischen Produktionsweise. Der Weltmarkt bildet
selbst die Basis dieser Produktionsweise.“ K. Marx, Kapital III,
MEW 25, 345.
1.3.
Industrialisierung (ca. 1800 bis heute) „Aber immer wuchsen
die Märkte, immer stieg der Bedarf. Auch die Manufaktur reichte nicht mehr
aus. Da revolutionierte der Dampf und die Maschinerie die industrielle
Produktion. An die Stelle der Manufaktur trat die moderne große Industrie,
an die Stelle des industriellen Mittelstandes traten die industriellen
Millionäre, die Chefs ganzer industrieller Armeen, die modernen
Bourgeois. Die große Industrie
hat den Weltmarkt hergestellt, den die Entdeckung Amerikas vorbereitete.
Der Weltmarkt hat dem Handel, der Schifffahrt, den Landkommunikationen
eine unermessliche Entwicklung gegeben. Diese hat wieder auf die
Ausdehnung der Industrie zurückgewirkt, und in demselben Maße, worin
Industrie, Handel, Schifffahrt, Eisenbahnen sich ausdehnten, in demselben
Maße entwickelte sich die Bourgeoisie, vermehrte sie ihre Kapitalien,
drängte sie alle vom Mittelalter her überlieferten Klassen in den
Hintergrund.“ K. Marx,
Kommunistisches Manifest, MEW 4, 463. 1.4.
Resümee „Wir sehen also, wie
die moderne Bourgeoisie selbst das Produkt eines langen
Entwicklungsganges, einer Reihe von Umwälzungen in der Produktions- und
Verkehrsweise ist. Jede dieser
Entwicklungsstufen der Bourgeoisie war begleitet von einem entsprechenden
politischen Fortschritt. Unterdrückter Stand
unter der Herrschaft der Feudalherren, bewaffnete und sich selbst
verwaltende Vereinigungen in der hochmittelalterlichen Stadt
... dann zur Zeit der Manufakturen Gegengewicht gegen den Adel in der
ständischen oder in der absoluten Monarchie und Hauptgrundlage der großen
Monarchien überhaupt, erkämpfte sie sich endlich seit der Herstellung der
großen Industrie und des Weltmarktes im modernen Repräsentativstaat die
ausschließliche politische Herrschaft. Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuss, der die gemeinschaft-lichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 464. 2. Globalisierung
heißt auch Industrialisierung der ganzen Welt „Die Bourgeoisie hat
durch die Ausbeutung des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller
Länder globalisiert. Sie hat zum großen Bedauern der Reaktionäre
den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen. Die uralten
nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich
vernichtet. Sie werden verdrängt durch neue Industrien, deren Einführung
eine Lebensfrage für alle zivilisierten Nationen wird, durch Industrien,
die nicht mehr einheimische Rohstoffe, sondern den entlegensten Zonen
angehörige Rohstoffe verarbeiten und deren Fabrikate nicht nur im Lande
selbst, sondern in allen Weltteilen zugleich verbraucht
werden. An die Stelle der
alten, durch Landeserzeugnisse befriedigten Bedürfnisse treten neue,
welche die Produkte der entferntesten Länder und Klimazonen zu
ihrer Befriedigung erfordern. An die Stelle der
alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit
tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen
voneinander. Und wie in der materiellen, so auch in der geistigen
Produktion. ... Die Bourgeoisie reißt
durch die rasche Verbesserung aller Produktions-instrumente, durch die
unendlich erleichterten Kommunikationen alle, auch die barbarischsten
Nationen in die Zivilisation. Die billigen Preise ihrer Waren sind
die schwere Artillerie, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund
schießt, mit der sie den hartnäckigsten Fremdenhass der
unterentwickelten Völker zur Kapitulation
zwingt. Sie zwingt alle
Nationen, die Produktionsweise der Bourgeoisie sich anzueignen, wenn sie
nicht zugrunde gehen wollen; sie zwingt sie, die so genannte Zivilisation
bei sich selbst einzuführen, d. h. Bourgeois zu
werden. Mit einem Wort, sie schafft sich eine Welt nach ihrem eigenen Bilde.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 466. 3.
Industrialisierung ist eine materielle
Voraussetzung der Emanzipation von Lohnarbeit und Ausbeutung 3.1. Ständiger Wechsel
der Arbeit statt lebenslange
Fesselung an eine einzelne Tätigkeit „Man hat gesehen, dass die große Industrie die manufakturmäßige Teilung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Fesselung eines ganzen Menschen an eine Detailoperation technisch aufhebt, ...“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 508. „Die moderne Industrie
betrachtet und behandelt die vorhandene Form eines Produktionsprozesses
nie als definitiv. Ihre technische Basis ist daher revolutionär, während
die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ
war. Durch Maschinerie,
chemische Prozesse und andere Methoden wälzt sie beständig mit der
technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die
gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie
revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im Innern der
Gesellschaft und schleudert unauf-hörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen
aus einem Produktionszweig in den anderen. Die Natur der großen
Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluss der Funktion, allseitige
Beweglichkeit des Arbeiters. ... Wenn aber der Wechsel
der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der
blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf
Hindernisse stößt, macht die große Industrie durch ihre Katastrophen
selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher
möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines gesellschaftliches
Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen Verwirklichung die
Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselnde Ausbeutungsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, verfügbaren Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute freie Verfügbarkeit des Menschen für wechselnde Arbeitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Indivi-duum, für welches verschiedene gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betätigungsweisen sind.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 510ff. „Die Gleichgültigkeit
gegen eine bestimmte Art der Arbeit setzt eine sehr entwickelte Totalität
wirklicher Arbeitsarten voraus, von denen keine mehr die alles
beherrschende ist ... Die Gleichgültigkeit gegen die bestimmte Arbeit
entspricht einer Gesellschaftsform, worin die Individuen mit Leichtigkeit
aus einer Arbeit in die andere übergehen und die bestimmte Art der Arbeit
ihnen zufällig, daher gleichgültig ist. Die Arbeit ... hat aufgehört als Bestimmung mit den Individuen in einer Besonderheit verwachsen zu sein.“ K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie, 25. 3.2. Gemeinsame
(gesellschaftliche) Arbeit statt individueller
Arbeit als Einzelproduzent In der industriellen
Produktion ist „,fast jedes Produkt
von Kunst-fertigkeit und Geschicklichkeit ... das Resultat gemeinsamer
und kombinierter Arbeit.‘ (Dies ist ein
Resultat der kapitalistischen Produktion.) ‚So abhängig ist der Mensch vom Menschen und so sehr wächst diese Abhängigkeit, je mehr die Gesellschaft fortschreitet, dass kaum die Arbeit irgendeines einzelnen Individuums ... vom geringsten Wert ist, wenn sie nicht einen Teil der großen gesellschaftlichen Arbeit bildet.‘“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 307. „Wenn der Mensch von Natur gesellschaftlich ist, so entwickelt er seine wahre Natur erst in der Gesellschaft, und man muss die Macht seiner Natur nicht an der Macht des einzelnen Individuums, sondern an der Macht der Gesellschaft messen.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 138. Anmerkung: Wie die Möglichkeiten
einer Epoche nicht an der Möglichkeiten einzelner Individuen zu messen
sind, so sind die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten der
Lohnarbeiter nicht an einzelnen Lohnarbeitern zu messen, sondern an den
Ergebnissen ihrer Kooperation – der modernen
Technik. Nichts ist falscher als die moderne Arroganz gegenüber der
„Dummheit der Masse“. Jeder Einzelne von uns ist irgendwo und irgendwie
„dumm“, in der Kooperation mit anderen und mithilfe moderner Technik sind
wir allen „Genies“ auf jedem einzelnen Feld
überlegen.
3.3. Moderne
Produktivität schafft Freizeit und Bildung für alle – und somit die
Teilnahme aller an allen Leitungs- und Verwaltungsaufgaben (= Abschaffung
der Klassen) „... Die
fortschreitende industrielle Entwicklung (hat) ... die Einzelarbeit in
allen großen Industriezweigen längst vernichtet ... und sie in den
kleineren und kleinsten Zweigen täglich mehr vernichtet; die
industrielle Entwicklung setzte an ihre Stelle die gesellschaftliche
Arbeit ..., unterstützt von Maschinen und dienstbar gemachten
Naturkräften, deren fertiges, sofort austauschbares oder verbrauchbares
Produkt das gemeinsame Werk vieler Einzelner ist, durch deren Hände
(und Köpfe) es hat gehen müssen. Und gerade durch diese
industrielle Revolution hat die Produktivkraft der menschlichen Arbeit
einen solchen Höhegrad erreicht, dass die Möglichkeit gegeben ist – zum
ersten Mal, solange Menschen existieren –, bei verständiger Verteilung der
Arbeit unter alle, nicht nur genug für die reichliche Konsumtion aller
Gesellschaftsmitglieder und für einen ausgiebigen Reservefonds
hervorzubringen, sondern auch jedem Einzelnen hinreichend Muße zu lassen,
damit dasjenige, was aus der geschichtlich überkommenen Bildung –
Wissenschaft, Kunst, Umgangsformen usw. – wirklich wert ist, herhalten zu
werden, nicht nur erhalten, sondern aus einem Monopol der herrschenden
Klasse in ein Gemeingut der ganzen Gesellschaft verwandelt und weiter
vorgebildet werde. Und hier liegt der
entscheidende Punkt. Sobald die Produktionskraft der menschlichen Arbeit
sich bis auf diesen Höhegrad entwickelt hat, verschwindet jeder Vorwand
für den Bestand einer herrschenden Klasse. War doch der letzte Grund,
womit der Klassenunterschied verteidigt wurde, stets: Es muss eine Klasse
geben, die sich nicht mit der Produktion ihres täglichen Lebensunterhalts
abzuplacken hat, damit sie Zeit behält, die geistige Arbeit der
Gesellschaft zu besorgen. Diesem Gerede, das bisher seine große
geschichtliche Berechtigung hatte, ist durch die industrielle Revolution
der letzten hundert Jahre ein für allemal die Wurzel abgeschnitten.“
F.
Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 220f.
Siehe auch die Artikel:
|
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |