Spitzelbericht der preußischen Polizei
über Karl Marx von 1852/53

Der Chef dieser Partei (der Kommunisten) ist Karl Marx; die Unterchefs sind Friedrich Engels in Manchester; Freiligrath und Wolff (Lupus genannt) in London; Reine in Paris; Weydemeyer und Cluß in Amerika; Bürgers und Daniels waren es in Köln; Weerth war es in Harnburg. Alle außer diesen sind nur einfache Mitglieder. Der schaffende und handelnde Geist, die eigentliche Seele der Partei ist aber Marx; darum will ich Sie auch mit seiner Persönlichkeit bekannt machen.

Marx ist von mittlerer Statur, 34 Jahre alt; trotz seines besten Alters werden seine Haare schon grau; seine Gestalt ist kräftig; seine Gesichtszüge mahnen sehr an Szenere (einen ungarischen Revolutionär), nur ist sein Teint mehr braun, sein Haar und Bart ganz schwarz; letzteren rasiert er gar nicht; sein großes, durchdringend feuriges Auge hat etwas dämonisch Unheimliches; man sieht ihm übrigens auf den ersten Blick den Mann von Genie und Energie an; seine Geistesüberlegenheit übt eine unwiderstehliche Gewalt auf seine Umgebung aus, Im Privatleben ist er ein höchst unordentlicher, zynischer Mensch, ein schlechter Wirt; er führt ein wahres Zigeunerleben, Waschen, Kämmen und Wäschewechsel gehört bei ihm zu den Seltenheiten; er berauscht sich gern. Oft faulenzt er tagelang, hat er aber viel Arbeit, dann arbeitet er Tag und Nacht mit unermüdlicher Ausdauer fort; eine bestimmte Zeit zum Schlafen und Wachen gibt es bei ihm nicht; sehr oft bleibt er ganze Nächte auf, dann legt er sich wieder mittags ganz angekleidet aufs Kanapee und schläft bis abends, unbekümmert um die ganze Welt, die bei ihm frei aus- und eingeht.

Seine Gattin ist die Schwester des preußischen Ministers von Westphalen, eine gebildete und angenehme Frau, die aus Liebe zu ihrem Mann sich an dieses Zigeunerleben gewöhnt hat und sich in diesem Elend nun ganz heimisch fühlt. Sie hat zwei Mädchen und einen Knaben, alle drei Kinder sind recht hübsch und haben die intelligenten Augen des Vaters.

Als Gatte und Familienvater ist Marx, trotz seines sonst unruhigen und wilden Charakters, der zarteste und zahmste Mensch. Marx wohnt in einem der schlechtesten, folglich auch billigsten Quartiere von London. Er bewohnt zwei Zimmer, das eine mit der Aussicht auf die Straße ist der Salon, rückwärts ist das Schlafzimmer. In der ganzen Wohnung ist nicht ein reines und gutes Stück Möbel zu finden, alles ist zerbrochen, zerfetzt und zerlumpt, überall klebt fingerdicker Staub, überall die größte Unordnung. In der Mitte des Salons steht ein altväterlicher großer Tisch, mit Wachsleinwand behangen. Auf diesem liegen seine Manuskripte, Bücher, Zeitungen, dann die Spielsachen der Kinder, das Fetzenwerk des Nähzeugs seiner Frau, dann einige Teetassen mit abgebrochenen Rändern, schmutzige Löffel, Messer, Gabeln, Leuchter, Tintenfaß, Trinkgläser, holländische Tonpfeifen, Tabakasche, mit einem Wort alles drunter- und drüber gehäuft, und alles dies auf einem einzigen Tisch.

Wenn man bei Marx eintritt, werden die Augen von dem Steinkohlen- und Tabaksqualm derart umflort, daß man im ersten Augenblick wie in einer Höhle herumtappt, bis sich der Blick mit den Dünsten allmählich befreundet und man wie im Nebel einige Gegenstände ausnimmt. Alles ist schmutzig, alles voll Staub, mit dem Niedersitzen ist es eine wahrhaft gefährliche Sache. Da steht ein Stuhl nur auf drei Füßen, dort spielen die Kinder und machen ihre Küche auf einem anderen Stuhl, der zufällig noch ganz ist. Richtig, den trägt man dem Besucher an, aber die Kinderküche wird nicht weggeputzt, setzen Sie sich, so riskieren Sie ein Paar Beinkleider. Alles dies bringt aber Marx und seine Gattin durchaus in keine Verlegenheit. Man empfängt auf das freundlichste, man trägt Pfeife, Tabak und was eben da ist mit Herzlichkeit an. Eine geistreiche angenehme Konversation ersetzt endlich die häuslichen Mängel, macht das Ungemach erst erträglich. Man söhnt sich mit der Gesellschaft sogar aus, findet diesen Zirkel interessant, ja originell. Das ist das getreue Bild von dem Familienleben des Kommunistenchefs Marx.
Aus: H.M. Enzensberger, Gespräche mit Marx und Engels. Insel Tb 19.