Identität
„Der Satz der Identität ... ist der Fundamentalsatz der alten Anschauung: a = a. Jedes Ding ist sich selbst gleich. Alles war permanent, Sonnensystem, Sterne, Organismen. Dieser Satz ist von der Naturforschung in jedem einzelnen Fall Stück für Stück widerlegt..., wird jedoch von den Anhängern des Alten immer noch dem Neuen entgegengehalten: Ein Ding kann nicht gleichzeitig es selbst und ein anderes sein.“ F. Engels, Dialektik der Natur, MEW 20, 484.

1. Hegels philosophische Kritik an den Sätzen von der Identität und dem ausgeschlossenen Widerspruch kommt nur zu dem Ergebnis, dass sich mit solchen „Denkgesetzen“ nichts sagen, also auch nichts beweisen lasse:
„Ich werde ... die Identität als den Satz der Identität näher betrachten, der als das erste Denkgesetz aufgeführt zu werden pflegt.
Dieser Satz in seinem positiven Ausdrucke A = A ist zunächst nichts weiter als der Ausdruck der leeren Tautologie. Es ist daher richtig bemerkt worden, dass dieses Denkgesetz ohne Inhalt sei und nicht weiterführe...
Was nun die sonstige Beglaubigung der absoluten Wahrheit des Satzes der Identität betrifft, so wird sie insofern auf die Erfahrung gegründet, als sich auf die Erfahrung jedes Bewusstseins berufen wird, dass, wie man ihm diesen Satz »A ist A«, »ein Baum ist ein Baum« ausspreche, es denselben unmittelbar zugebe und darin befriedigt sei, dass der Satz als unmittelbar klar durch sich selbst keiner anderen Begründung und Beweises bedürfe. ...
Auf der andern Seite wird aber auch die Erfahrung mit dem reinen Satze der Identität nur zu oft gemacht, und es zeigt sich in dieser Erfahrung klar genug, wie die Wahrheit, die er enthält, angesehen wird. Wenn nämlich z. B. auf die Frage »was ist eine Pflanze?« die Antwort gegeben wird: »eine Pflanze ist — eine Pflanze«, so wird die Wahrheit eines solchen Satzes von der ganzen Gesellschaft, an der sie erprobt wird, zugleich zugegeben und zugleich ebenso einstimmig gesagt werden, dass damit nichts gesagt ist. ...
Es wird nichts für langweiliger und lästiger gehalten werden als eine nur dasselbe wiederkäuende Unterhaltung, als solches Reden, das doch Wahrheit sein soll. ...
Der andere Ausdruck des Satzes der Identität, A kann nicht zugleich A und Nicht-A sein, hat negative Form; er heißt der Satz des Widerspruchs. Es pflegt darüber, wie die Form der Negation, wodurch sich dieser Satz vom vorigen unterscheidet, an die Identität komme, keine Rechtfertigung gegeben zu werden. ...
Es ist A ausgesprochen und ein Nicht-A, das Rein-Andere des A; aber es zeigt sich nur, um zu verschwinden. ...
A und Nicht-A sind unterschieden, diese Unterschiedenen sind auf ein und dasselbe A bezogen. Die Identität ist also als diese Unterschiedenheit in einer Beziehung oder als der einfache Unterschied an ihnen selbst hier dargestellt. ..
Was sich also aus dieser Betrachtung ergibt, ist, dass erstens der Satz der Identität oder des Widerspruchs, wie er nur die abstrakte Identität, im Gegensatz gegen den Unterschied, als Wahres ausdrücken soll, kein Denkgesetz, sondern vielmehr das Gegenteil davon ist;
zweitens, dass diese Sätze mehr, als mit ihnen gemeint wird, nämlich dieses Gegenteil, den absoluten Unterschied selbst enthalten.“ G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik II, Suhrkamp-Werke 6, 41 - 45.

1.1. Die philosophische Kritik Hegels lässt sich aber auch ebenso gegen die sogenannten „dialektischen Denkgesetze“ wenden wie:
„Alle Dinge sind an sich selbst widersprechend.“ G.W.F. Hegel, Die Wissenschaft der Logik II, Suhrkamp-Werke, 74.

„Alles ist entgegengesetzt.“ G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke, 246.

„Alles, was irgend ist, das ist ein Konkretes, somit in sich selbst Unterschiedenes und Entgegengesetztes. ... Was überhaupt die Welt bewegt, das ist der Widerspruch...“ G.W.F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I, Suhrkamp-Werke, 246f.

Auch diese philosophischen All-Aussagen sind weder beweisbar noch widerlegbar. Marx spottete über diese Aussagen:
„Ein sehr tiefgründiger, doch etwas phantasiereicher Erforscher der Bewegungsgesetze der Menschheit (= Hegel) pflegte das, was er das Gesetz von der Einheit der Gegensätze nannte, zu einem der herrschenden Naturgeheimnisse zu erheben.“ Und Marx ließ offen, „ob nun die ‚Einheit der Gegensätze’ wirklich ein derart allgemeingültiges Prinzip ist oder nicht...“ K. Marx, Revolution in China, 14.6.1853, MEW 9, 95.

1.2. Beispiele:
Ein Baum ist ein Baum.
Wissenschaft: Erst ist Baum = Same, dann ist Baum = weiche blumenähnliche Pflanze, dann ist Baum = ein holziges, hohes Gewächs, dann ist Baum = ein liegendes, fauliges und weiches Etwas. Grund: Biologisches Wachstum und Vergehen.
Philosophie: Ein Baum ist sowohl mit sich identisch wie nichtidentisch. Grund: Der Baum hat einen Widerspruch in sich.

Ein Stein ist ein Stein“.
Wissenschaft: Erst war der Stein flüssiges Lava oder fließender Sand, bevor er durch Abkühlung oder Druck hart und zu Stein geworden ist. Und durch Erosion wird er zu Staub. Grund: Geologisches Entstehen und Vergehen von Gesteinsformationen.
Philosophie: Ein Stein ist sowohl mit sich identisch wie nichtidentisch. Grund: Der Stein hat einen Widerspruch in sich.

Wissenschaft: „Gold und Silber sind Waren wie die anderen. Gold und Silber sind nicht Waren wie die anderen: als allgemeines Austauschinstrument (= Geld) sind sie die privilegierten Waren und degradieren die anderen Waren eben kraft dieses Privilegiums.“ K. Marx, Grundrisse, 46.
Philosophie: „Gold = Ware und nicht = Ware. Grund: Die Ware enthält einen Widerspruch.

Wissenschaft: „Wert ist Arbeit.“  K. Marx, Kapital III., S. 823. Aber: „Der Marktpreis der Ware steht natürlich über oder unter ihrem Wert. Ja, wie ich später nachweisen werde, selbst der Durchschnittspreis der Waren ist stets von ihrem Wert unterschieden.“ K. Marx, Theorien über den Mehrwert I., MEW 26.1, 67. Und: Es ist „falsch ... zu sagen, dass der Wert der Produkte derselbe bliebe bei Ersetzung der kapitalistischen Produktion durch Assoziation.“ K. Marx, Kapital III., S. 673.
Philosophie: „Wert = Arbeit und nicht = Arbeit“. Grund: Der Wert enthält einen Widerspruch.

2. Die Vertreter der klassischen Logik haben mit ihrem Satz von der Identität und dem Ausschluss des Widerspruchs allerdings recht, sofern sie für die beobachtete Wirklichkeit die Zeit t = 0 setzen. Unter dieser Voraussetzung stehen alle Aussagen der klassischen Logik und unter dieser Voraussetzung sind sie auch korrekt.
Bewährt hat sich dieses Identitäts-Denken vor allem in der Technologie des Arbeitsprozesses und für alle kurzen Zeiträume, in denen keine grundlegenden Veränderungen auftreten.
Für längere Zeiträume und für Entwicklungen mit grundlegenden Änderungen werden alle Aussagen der klassischen Logik falsch. Das wurde durch die moderne Wissenschaft in jedem einzelnen Fall bewiesen. Hegels Dialektik ist nur der philosophische Reflex der Evolutionstheorie.
„Wie die Mathematik der veränderlichen sich zu der der unveränderlichen Größen verhält, so verhält sich überhaupt dialektisches Denken zu metaphysischem.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 113.

3. Die Aussage: „Ein Baum ist mit sich identisch und nichtidentisch“ ist ebenso inhaltsleer wie der Satz: „Ein Baum ist ein Baum“. Mit der philosophischen Aussage, ein Ding sei gleichzeitig mit sich identisch und nichtidentisch wissen wir nur, was jeder weiß: Alles ändert sich. Über die konkrete Sache wissen und sagen wir damit jedoch gar nichts.

„…Begreifen besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.“ K. Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 296.

„Die Forschung hat den Stoff sich im Detail anzueignen, seine verschiedenen Entwicklungsformen zu analysieren und deren inneres Band aufzuspüren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht, kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden.“ K. Marx, Nachwort zur 2. Auflage des Kapital I, MEW 23, 27.

Wenn wir die Welt verstehen wollen, „so brauchen wir dazu keine Philosophie, sondern wirkliche Kenntnisse von der Welt und was in ihr vorgeht;“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 34.

„Man muss ‚die Philosophie beiseite liegen lassen’ ... man muss aus ihr herausspringen und sich als ein gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit geben, wozu auch ... ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes Material vorliegt. ...
Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Sex.“ K. Marx, Dt. Ideologie, MEW 3, 217f.

Wo es dem Verständnis dient, habe ich die Rechtschreibung, veraltete Fremdwörter, Maßeinheiten und Zahlenangaben modernisiert. Diese und alle erklärenden Textteile, die nicht wörtlich von Marx stammen, stehen in kursiver Schrift.
Wal Buchenberg, 11.02.2002