Eduard Bernstein

Eduard Bernstein war einer der deutschen Sozialisten, der seit 1988 in London lebte und dort persönlichen und häufigen Kontakt mit Engels hatte. Bernstein wurde quasi von Engels persönlich als Marxist (aus)gebildet.
Bernstein war neben Kautsky von Engels als Erbverwalter der Werke von Marx und Engels ausersehen.
Wenn irgendeiner beanspruchen konnte, "im Marxismus drinnen" zu sein, dann Bernstein.
Wer bestimmt denn, ob einer "Marxist" ist oder nicht? Mit welchem Recht denn?

Wer sich selber Marxist nennt, der kann auch Marxist heißen. Es gibt keine gesellschaftliche Instanz, die den Titel "Marxist" vergibt, wie eine Handelskammer Meistertitel vergibt oder wie eine Hochschule Doktortitel vergibt.

Am 28. Januar 1889 schrieb Engels an Karl Kautsky:
"Ich sehe voraus, dass ich günstigenfalls noch sehr lange meine Augen werde schonen müssen, um wieder in Ordnung zu kommen. Damit ist wenigstens auf Jahre hinaus die Möglichkeit ausgeschlossen, dass ich selbst das Manuskript des IV. Buchs des 'Kapital' jemandem diktiere.
Andererseits muss ich daran denken, dass ich nicht nur dies, sondern auch die anderen Manuskripte von Marx benutzbar bleiben auch ohne mich. Dies ist nur dadurch möglich, dass ich Leute, die im Notfall meine Stelle einnehmen und jedenfalls inzwischen mich bei der Herausgabe unterstützen können, in diese (Marxsche) Hieroglyphenschrift einpauke. Und dazu kann ich nur Dich und Ede (Bernstein) gebrauchen. Ich schlage also zunächst vor, dass wir drei dies tun. ... Ede (Bernstein) brennt auch schon vor Begierde, in die Hieroglyphen eingeweiht zu werden...
Es handelt sich hierbei auch in letzter Instanz darum, später einmal - was vielleicht zu meinen Lebzeiten nicht möglich sein wird - Gesamtausgaben der Marxschen und meiner Sachen zu machen ...
Sobald ich Euch beide dahin gebracht, dass ihr die Handschrift von Marx gut lesen könnt, ist mir eine schwere Sorge vom Hals genommen..."

(Engels Brief an Kautsky, MEW 37, 143f.)

1890 schrieb Engels über Bernstein: "Bernstein ist ein großartiger Bursche, was sowohl Geist wie Charakter betrifft..." (MEW 37, 392)

Der Denkansatz, ein politisches Gesamturteil über eine Person abzugeben ("Revisionist"), ist in sich bestenfalls verfehlt und schlimmstenfalls denunziatorisch.
Dieser Denkansatz entstammt einer subalternen Zeit, als mensch sich mit Haut und Haaren einer einzelnen Person anvertrauen (und unterwerfen) musste, die dann sein/ihr Herr und Führer war. Solche unterwürfigen Bräuche aus der Zeit von Sippschaften und persönlichen Gefolgschaften wurden zum großen Schaden in die organisierte Arbeiterbewegung eingeschleppt.

Ein emanzipatorischer Politik-Ansatz vermeidet jede grundsätzliche Zustimmung oder Ablehnung einer ganzen Person (und damit jede kategoriale Einordnung der Person "Marxist, "Reformist", "Anarchist" etc.) und achtet vielmehr auf Richtigkeit und Falschheit einzelner Aussagen.

Wo die Ansichten Bernsteins mit Marx oder Engels (bzw. der Wirklichkeit) übereinstimmten oder nicht, muss und kann nur im Einzelfall geprüft werden.
Wenn alles Kluge und alles Richtige nur von den Menschen stammte, die einer als "Marxist" klassifiziert, und alles Dumme und Falsche von Leuten, die einer als "Nichtmarxist" klassifiziert hat, dann lebten wir alle noch im Urwald.

Wal Buchenberg