Robert Owen (1771 – 1858)

Werk und politische Rolle

„Der hohe Bekanntheitsgrad Owens im 19. Jahrhundert ist nicht auf seine industriellen Leistungen zurückzuführen. Es ist die betriebliche Sozialreform in New Lanark, die Owens Weltruf als maßgebliche Persönlichkeit des Frühkapitalismus begründet. Sein Wirken auf sozialpolitischem Gebiet hat die moderne Sozialpolitik des 20. Jahrhunderts vorweggenommen. In der Verbindung von praktischer Realisierung sozialer Reformen und theoretischer Auseinandersetzung mit sozialen Fragestellungen und Lösungen stellt Robert Owen das Vorbild eines zukunftweisenden Reformers dar. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft und fehlende Einsicht der Arbeitgeberschaft sowie der Regierungen veranlassen ihn, den Weg rein sozialfürsorglicher Maßnahmen zu verlassen. Mit seinem Entwurf genossenschaftlicher Arbeits- und Lebensformen ist er ein entscheidender Förderer eines ideellen Nährbodens für radikale Gesellschaftsveränderungen.

a. Produktivgenossenschaften
Innerhalb der Bearbeitung genossenschaftlicher Themenkomplexe nimmt die Produktivgenossenschaft bei Owen eine zentrale Stellung ein. Produktivgenossenschaften sind nach Engelhardt «solche freiwillig gebildeten Gruppenunternehmen (...), an denen die Genossenschaftsmitglieder durch Aufbringung von Kapitalbeträgen und durch demokratisch geordnete Mitwirkung an den Dispositionen beteiligt sind, in deren Betrieben sie aber auch alle ausführende Arbeit verrichten, deren Resultate die wirtschaftlichen Fundamente für ihre gemeinsame Selbständigkeit und zum Teil auch für gemeinschaftliches Gruppenleben in zugehörigen Haushaltungen schaffen». Mit Charles Gide läßt sich sagen: «Produktivgenossenschaften sind Unternehmen, in denen jeder Beschäftigte Teilhaber und jeder Teilhaber beschäftigt ist.» Ausschlaggebend bei den Produktivgenossenschaften ist nicht die Absicht der Mitglieder, mehr Wohlstand zu erreichen. In erster Linie geht es darum, den vereinigten Mitgliedern Selbständigkeit im Wirtschaftsleben zu verschaffen. Dabei ist es ohne Belang, ob die hinter der außerökonomischen Zielsetzung von Unabhängigkeit und Gemeinschaft stehenden Interessen der Mitglieder religiösen, weltanschaulichen oder anderen Beweggründen entspringen. Die Sonderform der Produktivgenossenschaft, die Siedlungsgenossenschaft, unterscheidet sich von der gewerblichen Produktivgenossenschaft insoweit, als sie Erzeugungs- und Haushaltsfunktionen gegenüber bloßen Beschaffungs- und Verwertungsfunktionen ausübt.

Robert Owen entwickelt erste Ansätze zur Konzeption produktivgenossenschaftlicher Siedlungen im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Überwindung der wirtschaftlichen Depression und Arbeitslosigkeit (1815). Wesentlich ist dabei seine Auffassung, daß sich der Prozeß der Industrialisierung unaufhaltsam fortsetzen wird. Rückzugserscheinungen wie Apathie oder Auswanderung hält Owen für ungeeignet. Vor diesem Hintergrund ist sein genossenschaftliches Modell sozusagen als Korrektiv der Industriegesellschaft zu verstehen.

Detailliert arbeitet er seine produktivgenossenschaftlichen Pläne im März 1817 aus. In allen Einzelheiten legt er darin die Grundzüge seiner Siedlungsgenossenschaft dar: Mitgliederzahl 1200 Menschen, eine genaue räumliche Anordnung des Genossenschaftsdorfes in einem Parallelogramm, Grünanlagen, Spielplätze, Erholungsbereiche, Häuserreihen und Außenbezirke, Werkstätten, Wäscherei, ein zentrales Kommunikationszentrum u. v. m. Owen ist von den ökonomischen und außerökonomischen Vorteilen seines Entwurfes überzeugt. Er betrachtet die genossenschaftliche Konzeption als ein Mittel zur friedlichen Umgestaltung der Gesellschaft auf der Basis sich selbst verwaltender Produktivgenossenschaften. Diese sollen ausdrücklich auch öffentliche Aufgaben wahrnehmen, die im wesentlichen drei Elemente berühren:

Landwirtschaftliche Orientierung
Charakteristisch für Owens Genossenschaftskonzeption ist eine starke landwirtschaftliche Orientierung. In seinem ersten Entwurf von 1817 sind durchaus industrielle Bauten vorgesehen. Das Fehlen jeglicher betriebswirtschaftlicher Berechnungen deutet aber darauf hin, daß die industrielle Betätigung innerhalb der Produktivgenossenschaft als zweitrangig eingeschätzt wird. Auffällig ist ebenfalls, daß Owen als erfolgreicher Textilunternehmer an keiner Stelle seiner Ausarbeitung über Siedlungsgenossenschaften die Integration einer Fabrikanlage etwa der Größe New Lanarks propagiert. Vielmehr konstatiert er im August 1817 in London, daß es — unter Beschäftigungsaspekten — zur Arbeit auf dem Lande keine Alternative gebe. Darin sieht er den Idealtypus einer künftigen Gesellschaftsordnung, in der der industriellen Betätigung nur eine marginale Bedeutung zukommen soll.

Raumpolitische Gesichtspunkte
Owens siedlungsgenossenschaftliche Konzeptionen enthalten auch Aspekte der Raumordnung und einer daran orientierten Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik. Anstelle der herkömmlichen Städte mit ihrem unsystematischen Gewirr von Straßen und Hinterhöfen ohne Zugang zur Natur sollen neuartige, durchdacht angelegte Siedlungen treten. Es gilt, für alle Bedürfnisse und Interessen des Menschen räumliche Voraussetzungen zu schaffen — Raumordnungen, die sowohl Isolierung als auch Vermassung entgegenwirken.

Eng damit verbunden ist die Idee einer Gartenstadt, die gesundheitlich-hygienischen wie gemeinschaftlich-kulturellen Zielen dient. Owen liegt dieser Aspekt besonders am Herzen. 1825 stellt er ein über drei Quadratmeter großes Holzmodell einer solchen Gartenstadt im amerikanischen Kongreß aus, um für diese Besiedlungsform zu werben. In Großbritannien propagiert er seine Gartenstadtidee als Alternative zu den Elendsvierteln in den Industriezentren (1829).

Erziehung
Einen hohen Stellenwert im Rahmen der Produktivgenossenschaft mißt Robert Owen dem Erziehungsgedanken bei. Im Siedlungsprojekt von New Harmony (Indiana/USA) entwickelt er einen Erziehungsplan, der sich durch die Verbindung von Erziehung und gesellschaftlicher Entwicklung auszeichnet. In seinen Vorträgen zu Erziehungsfragen in New Harmony (i 8z6) vertritt Owen die Auffassung, daß die wichtigste Zeit der Erziehung schon vor der Schulzeit liegt. Bereits nach der Geburt beeinflusse das Umfeld die Entwicklung der Menschen. Im einzelnen fordert Owen für die Kleinkindererziehung: einfache Nahrung, bequeme Kleidung, Hygiene (tägliches Waschen), eine vernünftige Ansprache der Kinder. Eine sozial kooperative Kindererziehung sei der Familienerziehung in dieser Hinsicht schon aus praktikablen Erwägungen überlegen.

In einer Zeit, in der es an der Tagesordnung ist, daß Kinder bereits mit 9 Jahren in Fabriken arbeiten, plädiert Robert Owen für eine 13jährige schulische Betreuung junger Menschen. Das Schulkonzept von New Harmony sieht drei Klassenstufen vor: Kinder im Alter von 3 - 8 Jahren —Anschauungsunterricht; 8 - 12 Jahre - eigentlicher Schulunterricht; 12 - 16 Jahre - letzte Klassenstufe. Owens Bildungskonzept, eingebunden in seine Produktivgenossenschaft, ist damit als extrem fortschrittlich zu werten.

b) Konsumgenossenschaften
Den Aktivitäten der Konsumgenossenschaften steht Owen zunächst skeptisch gegenüber. Ihm erscheinen sie von ihren Ansätzen wie von ihren Zielsetzungen her meist als zu eng und zu trivial, ging es ihm doch um einen gesamtgesellschaftlichen Wandel auf produktivgenossenschaftlicher Basis. Dieses Potential sieht er bei den kleinen konsumgenossenschaftlichen Läden der Arbeiter für nicht gegeben. Dennoch engagiert sich Owen zwischen 1829 und 1834 für konsumgenossenschaftliche Belange. So führt er zeitweilig den Vorsitz des Cooperative Congress 1831 in Manchester, welcher sich überwiegend mit Fragen des Konsumgenossenschaftswesens beschäftigt. Gleichzeitig wird Owen Treuhänder einer konsumgenossenschaftlichen Großhandelsgesellschaft in Liverpool. Vor allem aber sind es die von ihm herausgegebenen oder geförderten Publikationen, die als Sprachrohr der jungen Konsumgenossenschaftsbewegung dienen.

Im Zuge der erfolgreichen Ausdehnung der Konsumgenossenschaftsbewegung (nach 1844) ist Owen von seiner Nachwelt teilweise als «Vater des Konsumgenossenschaftswesens» betrachtet worden. Diese Einschätzung wird Owens tatsächlicher Grundhaltung nicht gerecht. Ebenso wenig trifft es zu, von einer Gegnerschaft Owens zur Konsumgenossenschaftsbewegung zu sprechen. Robert Owen legt vielmehr gewisse ideelle Grundlagen, die von den eigentlichen Gründern der Konsumgenossenschaften in England aufgegriffen werden. Hier sind es vor allem die Rochdaler Pioniere, denen die modernen Konsumgenossenschaften ihre heutige Gestalt verdanken. (...)

Arbeitsbörsen
Ähnlich wie der zeitgenössische Nationalökonom S. de Sismondi (1773—1842) erblickt Robert Owen in der geringen Kaufkraft und damit im fehlenden Nachfragepotential der breiten Massen eine Ursache für volkswirtschaftliche Krisen. Mithin führt er wirtschaftliche Problemstellungen auf einen systemimmanenten Faktor — und nicht, wie zur damaligen Zeit noch üblich, auf systemfremde Größen (Krieg, Mißernten) — zurück. Das Arbeitseinkommen wird nicht so sehr als industrielle Kostengröße, sondern als Bestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtnachfrage betrachtet. (...)

In dem vorherrschenden Wirtschaftssystem fällt nach Owen das Arbeitsprodukt nicht dem Arbeitenden selbst zu, obwohl der Faktor Arbeit als solcher alleine produktiv sei. Hieraus leitet er die Forderung nach dem vollen Arbeitsertrag für den Beschäftigten ab. Durch den Austausch der Produkte unter den Arbeitenden in sogenannten Arbeitsbörsen soll sein Konzept verwirklicht werden. Unmittelbares Wertmaß des Tausches soll die jeweilige, zur Herstellung eines Produktes benötigte Arbeitszeit sein. Die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden wird mit einem Arbeitsgeld, sogenannten «Labour Notes», entgolten.

Mit der Gründung von Arbeitstauschplätzen, den Arbeiterbörsen, auf nationaler Ebene in England («National Equitable Labour Exchange») verfolgt Owen das Ziel einer Umstrukturierung der Einkommensverteilung. Die «Labour Exchange» soll sowohl für den einzelnen Arbeiter als auch für die in Produktivgenossenschaften organisierten Gruppen von Werktätigen den Absatz ihrer Erzeugnisse sichern. Die Bezahlung erfolgt auf Basis der verwendeten Arbeitszeit. Unter Ausschaltung des Handels sollen die Arbeitsbörsen sodann die Produkte an die Konsumenten gegen «Labour Notes» abgeben.

1832 wird unter Owens Leitung im Zentrum Londons die erste Arbeitsbörse, die «National Equitable Labour Exchange», gegründet. In anderen Städten Englands, so in Birmingham und Liverpool, folgen weitere Gründungen. Der wirtschaftliche Erfolg der Arbeitsbörsen ist allerdings nur von kurzer Dauer.

Privateigentum
Im Rahmen der Reform einer individualistischen Gesellschaftsordnung nimmt Owen auch zu Fragen des Privateigentums Stellung. Vor allem sind es volkswirtschaftliche Störungen allokations- wie distributionspolitischer Art in der marktwirtschaftlichen Ordnung des 19.Jahrhunderts, die Owen zufolge aus der individualistischen Eigentumsverteilung resultieren. Es gelte aus dieser Überlegung heraus, Privateigentum abzulehnen und Gemeineigentum in «Communities» zu propagieren.

3. Wirkung
Die Owensche Auffassung radikaler Wirtschafts- und Gesellschaftsreform umfaßt die gesamte Spanne aller Lebensbereiche und Ordnungen —eine komplette Theorie des Lebens. Sie erstreckt sich von Konzeptionen des familiären Zusammenlebens, des Güteraustausches, der Gemeinschaftserziehung in Genossenschaften bis hin zur Forderung nach urkommunistisch geprägtem Gemeineigentum. Hierin liegt die Eigenheit seiner Haltung, die die entscheidende Basis für reformerisches Gedankengut im Großbritannien des 19. Jahrhunderts bildet.“

Aus: Markus Elsässer: Robert Owen. In: Ralf Bambach: Gracchus Babeuf. In: Walter Euchner: Klassiker des Sozialismus. Erster Band. Von Gracchus Babeuf bis Georgi W. Plechanow. München 1991: 50 – 57.