Was ist ATTAC?

Seit den Ereignissen von Genua im Jahr 2001 gilt Attac für viele politisch Engagierte als Hoffnungsträger. Endlich, so glauben sie, gibt es eine Lobby und einen Dachverband, der für ihre Interessen eintritt. Viele engagieren sich selbst in dieser Organisation. Mittlerweile hat Attac fast 15.000 Mitglieder, die in ca. 200 Ortsgruppen organisiert sind. Von der Bundesebene werden sie mit einheitlichen Mitteln der Außendarstellung versorgt. Attac setzt sehr stark auf das eigene Logo und ein gleichförmiges Erscheinungsbild durch T-Shirts, Aufkleber, Transparente etc. Es gibt kaum eine politische Demonstration, bei der nicht die Fahnen von Attac auftauchen. Aber ganz abgesehen davon, dass Attac seinerzeit in Genua praktisch nicht beteiligt war, gibt es sehr viele Gründe, die gegen Attac sprechen.

 

Unkontrollierte Führungselite

Da wäre zum ersten die völlig undemokratische Struktur von Attac. Die Gruppen an der Basis habengegenüber der kleinen Riege von Führungsfiguren kaum Mitbestimmungsrechte. Erst sehr spät wurde aufgrund von massiver Kritik der „Attac-Ratschlag“ gegründet, der die Handlungen des Führungspersonals kontrollieren soll. Er findet zwei Mal jährlich statt und gilt als das höchste Beschluss fassende Gremium. Je nach Größe entsenden die Ortsgruppen eine Anzahl stimmberechtigter Delegierter dorthin. Im Ratschlag werden die Mitglieder der übergeordneten Gremien gewählt, z.B. für den Koordinierungskreis. Dieser ist das wichtigste Gremium und das geschäftsführende Organ von Attac. Er bestimmt und organisiert das agesgeschäft. Entscheidungen des Koordinierungskreises können zwar durch den Attac- Ratschlag rückgängig gemacht werden, aber in der Regel nur im Konsens – d.h., dass die Einwände einstimmig beschlossen werden müssen und schon an einer einzigen Gegenstimme scheitern. Sehr häufig werden nämlich Fragestellungen und Vorschläge im Koordinierungskreis so formuliert, dass sie im Ratschlag nur noch einstimmig zu ändern sind. Auf diese Weise wird der Konsens als optimales Herrschaftsinstrument eingesetzt.  Aber das ist noch nicht alles. Den meisten Mitgliedern von Attac ist nicht bekannt, dass der eigentliche juristische Rechtsträger von Attac ein Verein Namens Share e.V. ist, der in der Kleinstadt Verden seinen Sitz hat. Share hält alle Konten von Attac und stellt die Hauptamtlichen Mitarbeiter ein. Formal gesehen hat der Vorstand dieses Vereins die Möglichkeit, alle rechtlich wirksamen Entscheidungen von Attac zu blockieren – ohne jede Kontrollmöglichkeit durch die Basis von Attac. Die sechs GründerInnen von Share e.V. waren einst eine Gruppe von AnarchistInnen, die sich Mitte der 90er Jahre zu marktwirtschaftlich  orientierten Projektberatern gemausert haben. Heute sitzen sie bei Attac an den wichtigsten Schaltstellen von Geschäftsführung und Außendarstellung. Ihnen selbst geht es vor allem um ihre eigene berufliche Zukunft. Die beiden wichtigsten Macher, Peter Wahl und Sven Giegold, sind hauptamtlich abgesichert.  Unter den hauptamtlichen Kräften, die z.B. für Geschäftsführung, Buchhaltung oder Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, herrscht übrigens eine ganz gewöhnliche Betriebshierarchie mit den üblichen Lohnunterschieden.  Weil die Ortsgruppen und ihre Mitglieder von der Zentrale nicht in eine bestimmte Richtung gedrängt werden, nehmen sie die hierarchischen Strukturen im Verband kaum wahr. Was aus dem Bundesbüro kommt ist nett, bunt und offen; vieles ist mitreißend formuliert, weshalb schon deswegen viele gern mitmachen.  Das erklärt auch, warum von innen kaum Kritik an der Verbandsstruktur geäußert wird. Die Vielfalt der unterschiedlichen Aktionen von Seiten der unterschiedlichen Ortsgruppen verhilft Attac zu einem Image von Bewegungsbreite. Davon profitieren immer wieder diejenigen, die als Eliten die inhaltliche Position von Attac prägen können. Eigentlich hat die Führungsriege noch nicht einmal Kontakt zu den Basisgruppen. Deren Aktionen liefern lediglich nützliche Fernsehbilder und Zeitungsberichte. Und ihre reine Anzahl ist gut für die Mitgliederstatistik. Die Führungsgremien von Attac benutzen diese Eindrücke, um auf die Öffentlichkeit zu wirken und Spendengelder zu sammeln. Das Ganze wird als „Organisation neuen Typs“ mythologisiert, obwohl gar keine Basisbeteiligung stattgefunden hat.  Es dürfte klar geworden sein, dass die Führer von Attac keine gewählten Sprecherinnen darstellen. Es sind vielmehr Jungmanager und Lobbyisten aus der Gründerzeit von Attac, die ihre eigenen Karriereabsichten verfolgen. Die übrigen Attac-Mitglieder werden zur freien Manövriermasse degradiert, die einen guten Eindruck auf das Publikum machen soll.

Statt entschiedenem Protest nur windelweiche Inhalte

Natürlich wurden auch die politischen Grundforderungen von der Führungsclique aus der Gründerzeit aufgestellt. Sie sind seitdem nur um einige wenige Aspekte ergänzt worden, die vor allem aus Gründen der Öffentlichkeitswirkung aufgegriffen wurden. In der Gründungsphase war die „Tobin-Tax“ das einzige Ziel von Attac. Das wird heute schamhaft verschwiegen.
Die Tobin Tax ist eine Steuer, mit der lediglich Devisenspekulationen über nationale Grenzen hinweg belegt werden sollen. Das soll Währungsspekulationen stoppen und die Produktion stärken. Es ist also noch nicht einmal eine Steuer auf Aktienspekulationen vorgesehen, wie viele Attac-Mitglieder glauben. Die Tobin-Tax ist wohl die minimalste Forderung, die jemals von einer politischen Bewegung erhoben wurde. Mit der Tobin-Tax soll das „Finanzkapital“ getroffen werden. Es wird in Attac-Publikationen gern als Hauptfeind und Lieblingsgegner hingestellt. Angeblich ist die „Spekulationssphäre“ und nichts sonst dafür verantwortlich, dass eine im Kern gesunde Volkswirtschaft vergiftet wird. Dahinter steckt eine völlig falsche Analyse der ökonomischen Verhältnisse. Die Theoretiker von Attac gehen davon aus, dass Finanzspekulationen von den anderen ökonomischen Vorgängen im Kapitalismus zu trennen  und anschließend zu bekämpfen sind. Das ist jedoch definitiv falsch. Der Finanzsektor entsteht im Kapitalismus automatisch, wenn Personen oder Institutionen über Geld verfügen, das sie nicht selbst in die Produktion investieren können. Diese Geldmengen werden dann in Form von Geldanlagen (Bankkonten, Aktien etc.) gehortet, aus denen sich Unternehmer bedienen können, um z.B. große Industrieprojekte zu verwirklichen, für die keine Einzelperson genügend Geld aufbringen könnte. Das gescholtene Finanzkapital ist nichts anderes als dieses weiter gereichte Geld. Mit anderen Worten: Spekulation und Investition sind im entwickelten Kapitalismus nicht voneinander zu trennen.  Das spricht nun beileibe nicht für den Kapitalismus, sondern besagt nur, dass man das System mit seiner Verwertungs- und Profitlogik als ganzes in den Blick nehmen muss. Bei Attac übt man aber lieber billige Spekulantenschelte, um gleichzeitig Investitionen und Arbeit, d.h. die produktive Seite des Wirtschaftens, als gute und ehrliche Tätigkeit zu kennzeichnen. Auf diese Weise trennt man bei Attac zwischen einem bösen „raffenden“ und dem guten „schaffenden“ Kapital“ – eine Unterscheidung, die auch in rechtsradikalen Kreisen sehr beliebt ist.   Außer der geforderten Regulierung der Finanzmärkte übt Attac keinerlei Kritik an der derzeitigen Wirtschaftsform. Lieber betont man, dass man die Funktionsfähigkeit der kapitalistischen Weltwirtschaft gar nicht in Frage stellen will. Der Hauptstrom der Theorie strebt vielmehr die Regulierung des Marktes durch den Staat an. Letzterer wird damit zum Hoffnungsträger, der sich nicht länger dem Druck der Kapitalanleger und der Finanzkonzerne unterwerfen soll.
Besonders „originell“: Der Ausweg aus der Krise soll in mehr Wirtschaftswachstum bestehen. Am Ende steht also nichts anderes als ein kreuzbiederes Konzept, wobei Tobin Tax und andere windelweiche Maßnahmen nur „Wildwüchse“ begrenzen sollen.   Weltweit und langfristig wird „Global Governance“ angestrebt. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Idee einer nebulösen Weltregierung. Dabei soll es sich um ein undurchsichtiges Konglomerat von Regierungen, zwischenstaatlichen Institutionen [UNO, Weltwährungsfond (!), Weltbank (!)], Konzernen (!) und Nicht-Regierungs- Organisationen wie eben Attac handeln, die die Macht unter sich aufteilen. Neue Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Menschen sind dabei nicht vorgesehen.   Im Klartext: Es geht im Grunde um eine neue weltweite Herrscherkaste, bei der die Eliten von Attac gern mitmachen würden. Dieses Grundmuster der Verwandlung vom Protestverband in eine etablierte Politikerclique kennt man bereits aus der Geschichte der Sozialdemokraten und der Grünen. Das einzig Neue daran ist, dass man bei Attac über die Grenzen des Staates hinaus denkt.  Zurzeit steht bei Attac aber erst einmal die Geldbeschaffung im Vordergrund. Zu diesem Zweck müssen Schlagzeilen in der Presse generiert, Mitglieder gewonnen und vor allem Geldspenden eingeworben werden. Entscheidend ist bei allen Aktivitäten nicht die politische Wirkung, sondern der damit erzielte Gewinn an Image und Geld. So wird Protest zum Produkt, mit dem sich Gewinn einfahren lässt. Das eigentliche Anliegen, der Kampf um ein besseres Leben, gerät aus den Augen. Übrig bleiben zurückhaltende Forderungen, die niemanden stören. Bündnispartner und Geldgeber sollen schließlich nicht abgeschreckt werden.   Vereinnahmung  Um seine Ziele zu erreichen, versucht Attac, große Teile der Protestbewegungen zu kontrollieren oder zumindest diesen Eindruck zu erwecken. Die Organisation hat den Anspruch, jeden Protest für sich zu vereinnahmen. Wer nicht dazugehören will, wird entweder an den Rand gedrängt oder gegen den eigenen Willen als Attac-Gruppe dargestellt.  Wo Attac auftaucht, beherrscht es die öffentliche Wahrnehmung. Die Medien springen auf das Logo an und ignorieren die Arbeit anderer Gruppen. So passiert es immer wieder, dass Demonstrationen und Aktionstage fälschlicherweise als Attac-Aktionen dargestellt werden. Unabhängige Gruppen können ein Lied davon singen: Tagelang bereiten sie sich vor, fertigen Reden, Transparente, Materialien usw. an und machen sich insgesamt eine Menge Arbeit. Aber oft genügt es schon, dass bei der Veranstaltung ein kleines Häuflein Besucher mit Attac-Fahnen auftaucht. Dann ist am nächsten Tag in der Zeitung von einer „originellen Attac-Aktion“ zu lesen, während die eigentlichen Initiatoren ungenannt bleiben. So heimst Attac durch seine Label-Politik immer wieder unverdiente Lorbeeren ein und schmückt sich mit fremden Federn.  Nach Protesten versuchen Attac-Funktionäre immer wieder, die von Politik und Medien inszenierte Spaltung der Bewegung in einen „reformistisch-braven“ und einen „bösen-radikalen“ Teil voranzutreiben. Attac selbst verzichtet auf jede Form von zivilem Ungehorsam. Lieber bemüht man sich um Prominente, die man gern als Aushängeschilder  benutzt. Außerdem schließt man gern inhaltsleere Prestige-Bündnisse mit Gewerkschaften, Verbänden und anderen Organisationen. Alles zum Wohlgefallen von potentiellen Spendern und Sponsoren.  
Aber Attac kann noch ruppiger werden. Als Mitte 2003 deutliche Proteste gegen soziale Kürzungen und die Agenda 2010 entstanden, trat Attac zunächst als Bremser auf. Erst als daraus eine große Bewegung wurde, beschloss Attac, sich überhaupt an der Mobilisierung zu beteiligen. Das war zwei Wochen vor der großen Demonstration am 1. November 2003 in Berlin. Dieser späte Einstieg hinderte Attac aber nicht daran, die anderen Gruppen abzuservieren, in Berlin die Rednertribüne für sich zu beanspruchen und sich als Speerspitze der Bewegung darzustellen. Ähnliches wiederholte sich ein knappes Jahr später bei den Berliner Montagsdemonstrationen: Erst nachdem sich herausstellte, dass die Montagsdemonstrationen eine hohe Teilnehmerzahl zu verzeichnen hatten, trat Attac auf den Plan und verlangte von den ursprünglichen Initiatoren, in die zweite Reihe zu treten sowie alle weiteren organisatorischen Fragen Attac (und den Gewerkschaften) zu überlassen. Merke: Wenn Attac übernimmt, dann werden handstreichartig andere bisher existierende Strukturen in den Hintergrund gedrängt. Auch die Medien helfen immer wieder mit und küren Attac sofort zur Führungsgruppe.So wird immer wieder mit Unterstützung der Medien der Anschein erweckt, dass Attac gleichbedeutend mit der gesamten Bewegung sei. Häufig stößt die Vereinnahmung sogar auf die Akzeptanz der Vereinnahmten. In vielen Basisgruppen ist der Einstieg von euphorischen Gefühlen begleitet. Am Ende laufen tausende von engagierten Menschen mit Attac-Fahnen und Unterschriftenlisten zur Tobin-Tax in der Hand durch die Gegend in dem Glauben, dadurch die Welt zu verändern. Das revolutionsromantische Flair und das Empfinden, an einer großen Erfolgsgeschichte Teil zu haben, lässt sie übersehen, dass Attac von den Zielen her ein erbärmlicher Minimalreformistist.

Fazit 

Alles in allem ist Attac nichts anderes als ein medienorientiertes Projekt mit beschränkten Aktionsformen und einer staatsnahen, marktkonformen Ideologie. Attac kann den zweifelhaften Ruhm für sich beanspruchen, als erste Organisation die Verknüpfung von einer bunten Basis mit einer fast völlig unkontrollierten Zentrale bewerkstelligt zu haben. Die zentralen Attac-Forderungen sind nie breit diskutiert und schon gar nicht ist über sie abgestimmt worden. So vermittelt eine kleine Führungsgruppe ohne Rückkopplung zur Basis ihre minimalreformistischen Ziele und Positionen nach außen. Außer der popeligen Tobin-Tax gibt es kaum eine inhaltliche Formulierung. Mit einer „anderen Welt“, die laut Attac „möglich ist“ hat das wenig zu tun – es ist eben nur ein Werbeslogan. Am Ende macht jede neue Attac-Ortsgruppe und jede Aktion unter dem Label „Attac“ nur diejenigen stärker, die an den Führungsspitzen mit diesem Label eine windelweiche Politik vertreten. Oder schlicht Karriere machen.

aus: Indymedia