„Für das Weiße Haus wird die Lage immer heikler: Nach der Pleite des Energieriesen Enron werden fast täglich neue Details über die Verbindungen des Konzerns zur Bush-Regierung bekannt. Für den US-Präsidenten könnte der Skandal zur politischen Tretmine werden.
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Wahlkampfgelder für Bush
Kein anderes Unternehmen hat Bush im Verlauf seiner politischen Karriere mit so vielen Wahlkampf-Dollar unterstützt wie Enron. Mehr als eine halbe Million Dollar ließ der Houstoner Konzern im Verlauf der Jahre für den Republikaner springen. Und im Zuge der Pleite wird in diesen Tagen ein immer dichteres Netzwerk zwischen Partei und Konzern, politischen und geschäftlichen Interessen sichtbar. Das Weiße Haus droht damit an seiner empfindlichsten Stelle getroffen zu werden: "Die Regierung hat Angst, dass die Achillesferse der republikanischen Partei exponiert wird: die große Nähe zum großen Geld", sagt Marshall Wittman vom konservativen Hudson Institute.
Mittlerweile wollen mehrere Kongressausschüsse, die Börsenaufsichtsbehörde sowie das Justiz- und das Arbeitsministerium den desaströsen Kollaps des siebtgrößten US-Unternehmens untersuchen, die größte Firmenpleite aller Zeiten in Amerika. 22.000 Mitarbeiter mussten gehen, 30 Mrd. $ Schulden blieben, nachdem Enron Anfang Dezember Konkurs angemeldet hatte.

Schwerwiegende Verdächtigungen
Seither kommen immer mehr pikante Einzelheiten ans Licht. Zunächst sah es vor allem nach Unregelmäßigkeiten in der Buchhaltung aus, dann musste Enrons Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen einräumen, dass aus ungeklärten Gründen in großem Umfang Dokumente vernichtet wurden. Am Dienstag wurde schließlich bekannt, dass Konzernchef Lay offenbar schon im August vergangenen Jahres von einer Mitarbeiterin über Unregelmäßigkeiten informiert wurde - ohne einzugreifen. Dafür könnte der Konzernchef anderweitig aktiv gewesen sein, so der Verdacht: Lay soll sich in den letzten Monaten durch illegale Insidergeschäfte mit Enron-Papieren noch eine mit 100 Mio. $ vergoldete Nase verdient haben.
All das wäre nur ein spektakulärer Firmenskandal, wäre da nicht die perfekte Verkabelung des Energieriesen mit dem Weißen Haus. ...
Die Frage nach der Käuflichkeit der Politik wird in Washington immer lauter gestellt. Vizepräsident Dick Cheney, der eine Arbeitsgruppe zur Energiepolitik der Bush-Regierung geleitet hatte, gab jetzt widerstrebend zu, dass er sich letztes Jahr sechsmal mit Lay und anderen Enron-Mitarbeitern getroffen hatte. Dabei sei es aber "nur" um die Energiepolitik gegangen.
Evans und O’Neill behaupten, sie hätten nichts unternommen, um dem Energieriesen zu helfen. Evans, zugleich Bushs ehemaliger Wahlkampfleiter, gestand nun, er habe den Stabschef im Weißen Haus, Andrew Card, über Lays Anrufe informiert. Angeblich gab Card diese Informationen aber nicht an Bush weiter. Auch der Staatssekretär im Finanzministerium mit demokratischem Parteibuch, Peter Fisher, hörte von Enron. Sechs- bis achtmal wurde er von Enron-Präsident, Lawrence "Greg" Whalley, angerufen und um Hilfe gebeten, als es bei den Verhandlungen mit den Banken um die Entscheidung über weitere Kredite ging. Selbst bei Fed-Chef Alan Greenspan klingelte Konzern-Chef Lay an. Gleichzeitig hat Enron im letzten Wahlkampf über 2 Mio. $ an Politiker gespendet, nach Auskunft des "Center for Responsive Politics" gingen drei Viertel davon an die Republikaner. "Im Moment gibt es viel Rauch, aber gibt es auch ein Feuer?", fragt Wittman vom Hudson Institute.
Fest steht, dass Enron sich Zugang zu den Chefetagen der Regierung erkauft hat. Schon Johnny Chung, der berüchtigte Spendensammler der Demokraten wusste: "Mit dem Weißen Haus ist es wie mit einer U-Bahn. Man muss Geld reinstecken, damit sich die Türen öffnen". Das "Center for Responsive Politics" hat ermittelt, dass Bush allein in den letzten vier Jahren 113.800 $ von Enron erhielt, das war rund das Zehnfache seines demokratischen Rivalen Al Gore. Dann ließ Enron auch noch 100.000 $ für die Feiern zu Bushs Amtseinführung springen.
"Kein Unternehmen in den USA steht Bush näher als Enron", sagt der Chef des "Centers for Public Integrity", Carl Lewis. Zumal dies Tradition im Hause Bush hat: Enron hatte zuvor bereits die Präsidentschaftskandidatur von George Bush senior finanziell unterstützt. Und die "Texas-Connection" ging über das rein Finanzielle hinaus: Schließlich waren Vater und Sohn Bush als Ölmanager früher selbst in der Energiebranche tätig - wie auch der heutige Vizepräsident Dick Cheney.
Die Liste weiterer enthüllter Verquickungen zwischen Enron und anderen Mitgliedern des Bush-Teams wird derweil immer länger: Justizminister John Ashcroft wurde bei seinem erfolglosen letzten Wahlkampf von Enron mit rund 57.500 $ unterstützt. Top-Wirtschaftsberater Lawrence Lindsey und der Handelsbeauftragte Robert Zoellick erhielten noch im Jahr 2000 Aufsichtsrats-Tantiemen von 50.000 $ im Jahr. Bushs innenpolitischer Berater, Karl Rove, besaß bis vor kurzem noch Enron-Aktien im Wert von über 100.000 $. Das "Center for Public Integrity" berichtet, insgesamt 14 Mitglieder von Bushs Mannschaft hätten früher Enron-Aktien besessen. Und der neue Generalsekretär der Republikanischen Partei, Marc Racicot, war bis letzte Woche Lobbyist für Enron.
Das Netz zwischen Konzernchefs und politischer Elite - einschließlich mancher Demokraten - ist seit langem perfekt geknüpft. Und der Houstoner Konzern dürfte dieses zumindest in der Vergangenheit auch geschickt genutzt haben. Nichts illustriert das besser als eine Entscheidung vom Dezember 2000, die den größten politischen Erfolg von Enron-Chef Lay markiert. Da passierte ein unscheinbarer Gesetzentwurf namens "Commodity Futures Modernization Act” den republikanisch kontrollierten Kongress. Das neue Gesetz regelt seitdem eine Nische des Derivatehandels: den Handel mit spekulativen Termingeschäften auf Rohstoffe und Energie.

Das Lex Enron
Für Enron hatte die Entscheidung immense Bedeutung. Mit Enron Online hatte der Konzern ein Jahr zuvor eine neue elektronische Handelsplattform gestartet, die mit genau jenen hoch spezialisierten Finanzprodukten Geschäfte machte. Wer bei Enron Online Strom, Gas oder Metalle kaufte, konnte sich gleichzeitig über den Kauf anderer Papiere gegen Risiken absichern, die mit dem Kauf einhergehen, etwa unvorhergesehen warmes Wetter im Winter, das den Energieverbrauch senkt.
Das vor einem Jahr verabschiedete Gesetz nahm den Handel mit Strom, Gas und ihren Derivaten weitgehend von der sonst für Rohstoffe üblichen Aufsicht durch die zuständige Commodity Futures Trading Commission aus - und verzichtete darauf, sie an einer öffentlichen Börse handeln zu lassen.
Beides war entscheidend dafür, dass Enron auf seiner Handelsplattform so unbehelligt weiterhandeln konnte wie mit großem Erfolg begonnen: Im ersten Jahr machte Enron Online bereits einen Umsatz von 42 Mrd. $. 2001 setzte es weit über 100 Mrd. $ um - mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes. Die spezielle Plattform ist dank der günstigen Rechtslage so lukrativ, dass die Schweizer Bank UBS Warburg sie sich jetzt als Filetstück aus Enrons Konkursmasse herausgepickt hat.
Bei Branchenkennern war das Gesetz bald als "Enron Provision" bekannt. Der demokratische Abgeordnete Marty Meehan spricht daher für viele, wenn er sagt: "Enron ist Lehrstück für den Einfluss des Geldes in Washington. ...“

Leicht gekürzt aus: Financial Times Deutschland, 16.1.2002
Von Yvonne Esterhazy, Washington und Ulrike Sosalla, New York