Was will die Linke in Deutschland?

Eigentlich kann ich nur zuverlässig Auskunft darüber geben, was ich als Ziel vor Augen habe. Meine Aussagen über andere Linken haben nur den Charakter von Thesen.

Ich sehe zwei große linke "Lager":

Staatslinke und antistaatliche Linke.

1. Die Staatslinke

Die Staatslinke wird repräsentiert vor allem durch zwei große Gruppen: Sozialdemokratische Linke und Traditionskommunistische Linke.

 1.1. Sozialdemokratische Linke

Die sozialdemokratischen Linken sehen den modernen Staat als Doktor am Krankenbett der kapitalistischen Gesellschaft. Der Staat soll einzelne Mängel und besondere Ungerechtigkeiten des Kapitalismus ausgleichen oder beseitigen. Kapital und Lohnarbeit bleiben bestehen, aber das Kapital soll gezügelt und die Lohnarbeit erträglich werden.

In Deutschland war diese linke Richtung immer die vorherrschende Strömung. Während der Weimarer Zeit waren das die Sozialdemokratische Partei und die USPD (Unabhängige, d.h. linke Sozialdemokraten oder Sozialisten).

Heute bilden solche sozialistische Strömungen hauptsächlich den Gewerkschaftsflügel der SPD mit den oberen Gewerkschaftsfunktionären und die PDS.
Ein Teil der Globalisierungsgegner, die sich in ATTAC, organisiert haben, bewegen sich am linken Rand dieser Strömung und haben zur Zeit den größten Zulauf.

1.2. Traditionskommunistische Linke

Für die Traditionskommunistische Linke spielt der Staat eine ebenso wichtige Rolle für das Erreichen ihrer Ziele wie bei den Sozialdemokraten. Sie bevorzugen aber ein mehr autoritäres Staatsmodell (= "führende Rolle der Kommunistischen Partei"), mit dem sie ihre Vorstellungen in der Gesellschaft durchsetzen wollen.

Sie haben als Modell und Vorbild die Sowjetunion. Jede dieser Unterströmungen hat sich eine besondere Geschichtsepoche der UdSSR zum Vorbild genommen.


- Die Erinnerung an den nachrevolutionären Kriegskommunismus in Russland nährte den Trotzkismus bis heute. Die derzeit größte trotzkistisch beeinflusste Partei nennt sich "Linksruck".


- Der "Stalinismus" von 1928 bis 1952 wurde zum Vorbild aller Marxisten-Leninisten. Die größte marxistisch-leninistische Partei in Deutschland heißt MLPD = Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands.


- die Realsozialisten, die sich die nachstalinsche Sowjetunion zum Vorbild nahmen. Die größte Partei dieser Strömung in Deutschland ist die DKP (Deutsche Kommunistische Partei).

Erst durch den Zusammenbruch des Sowjetsystems und dann durch die jetzige langandauernde kapitalistische Krise und der daraus folgenden staatlichen Finanznot wurde der Einfluss der Staatslinken beider Richtungen deutlich geschwächt. Sie haben relativ wenig Anziehungskraft für Jugendliche und für Lohnarbeiter und kommen langsam ins Rentenalter.

 

2. Die antistaatliche Linke

Dazu gehören vor allem Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Autonome und Rätekommunisten.


2.1. Autonome

Die Autonomen haben den rebellischen Geist der Bewegungen seit 1968 bewahrt. Sie haben sich unterschiedlichen Inhalten angeschlossen. Ihr Hauptthema war immer der Kampf gegen staatliche Repression und für soziale und politische Freiräume in der Gesellschaft. Teilweise haben sie die Anti-Atombewegung unterstützt, teilweise die "Antifa", eine Bewegung gegen das Erstarken der Neonazis in Deutschland.
Ein Teil der Autonomen schloss sich der Anti-Globalisierungsbewegung an und stärkt dort die basisdemokratischen Aktionsformen. Sie finden Anklang bei Schülern und Jugendlichen.


2.2. Anarchisten

Außer einem kurzen Gastspiel, dem Ausrufen der kurzlebigen Münchner Räterepublik von 1918 haben Anarchisten nie eine Rolle in Deutschland gespielt. Seit der Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes haben Anarchisten die Sowjetunion immer kritisiert und bekämpft. Aber ihr Einfluss in Deutschland blieb gering.

2.3. Anarcho-Syndikalisten

Sie setzten auf Selbstorganisation der Lohnarbeiter. Größte Organisation ist die FAU, ein Mittelding zwischen Gewerkschaft und Parteiorganisation, die in Deutschland deutlich weniger Bedeutung hat als in einigen anderen Ländern.

2.4. Rätekommunisten

Die Rätekommunisten sind eine Mischung aus Anarchismus und Traditionskommunismus. Wie die Anarchisten sehen sie in der Staatsgewalt kein emanzipatorisches Instrument. Als Kommunisten sind sie für Abschaffung der Lohnarbeit und der Klassen.
Sie sind eine relativ neue Strömung und haben noch kein eigenständiges Programm und keine deutschlandweite Organisation hervorgebracht.

 

3. Die Beobachterlinke

Neben diesen beiden Hauptströmungen, der Staatslinken und der antistaatlichen Linken, gibt es natürlich auch die "Beobachterlinke", die sich kaum praktisch in soziale Kämpfe einmischt, sondern vor allem die Kämpfe kommentiert und "begutachtet". Diese Leute produzieren linke Bücher und versorgen ein paar linke Zeitschriften mit ihren Aufsätzen.
Zum Teil ist für sie die kämpfende Bewegung ein Markt, auf dem sie ihre Publikationen als Ware absetzen. Gleichzeitig konservieren und tradieren sie aber wichtige Bildungselemente und Kenntnisse der Kapitalismuskritik.

Wal Buchenberg, 24.11.03