Wofür sind Politiker und Staatsbeamte nötig?

1. Politiker und Staatsbeamte sind nötig,

so lange die Masse der Bevölkerung nicht die freie Zeit hat, sich um die Verwaltung gesamtgesellschaftlicher Aufgaben wie Bildungswesen, Gesundheitswesen, Infrastruktur, Rechtsrahmen, Außenpolitik etc. zu kümmern.
Freie Zeit ist aber der Überschuss über die notwendige Arbeitszeit zur Reproduktion unseres Lebens. Die Zeit, die die Politiker und Staatsbeamte zur Ausübung ihrer öffentlichen Ämter verwenden, ist erkauft durch die Arbeitszeit, die das arbeitende Volk zusätzlich arbeitet und in Form von Steuern an die Politikerklasse abführt.
Hinsichtlich der Zeit lautet also die Frage: Hat heute jedes einzelne Gesellschaftsmitglied Zeit genug, um sich anteilig um gesamtgesellschaftliche Fragen zu kümmern? Wenn diese Frage verneint wird: Hätte bei Verteilung der Arbeit auf alle Arbeitsfähigen jedes einzelne Gesellschaftsmitglied Zeit genug, um sich anteilig um gesamtgesellschaftliche Fragen zu kümmern?

2. Politiker und Staatsbeamte sind nötig,

so lange die Masse der Bevölkerung nicht die nötige Bildung und die nötigen Kenntnisse hat, um über gesamtgesellschaftliche Fragen sachgerecht entscheiden zu können.
Nun kann man lange darüber streiten, wie viel Bildung nötig ist, um z. B. ein Ministerium zu leiten. Fest steht, dass man bei uns eine Meisterprüfung machen muss, um im eigenen Friseursalon anderen die Haare zu schneiden. Für ein hohes Staatsamt ist kein Eignungstest erforderlich. Auch die Erfahrungen in modernen Großunternehmen zeigen, dass, je höher die Managementposition ist, desto geringere Vorkenntnisse nötig sind.

Andererseits: Welche Bildung und welche Kenntnisse haben uns denn unsere heutigen Politiker voraus?
Die Weltstadt Frankfurt wird von einer Apothekenhelferein geleitet und niemand behauptet, sie würde ihren Job schlecht machen.
Unser Außenministerium verwaltet ein abgebrochener Student. Auch wenn man seine Kriegspolitik schrecklich findet, so kann doch niemand sagen, dass Joschka den Aufgaben eines Außenministers nicht gewachsen wäre.

3. Je überflüssiger unsere Politikerklasse wird,

desto mehr versuchen sie, mit künstlichen Mitteln ihre Unentbehrlichkeit zu sichern. Unter anderem
- durch den Versuch, alle wichtigen Informationen geheim zu halten und für sich zu monopolisieren;
- durch die zunehmende Verkomplizierung der Sprache der Macht (Gesetzestexte, Verordnungen etc.);
- durch Verlängerung der Amts- und Wahlzeiten (die Möglichkeit von vorgezogenen Wahlen wurde im GG erschwert, in Bayern wurde die Amtsperiode der Regierung auf fünf Jahre verlängert);
- durch immer großzügigere Diäten, Pensionen und Übergangsgelder usw. Je höher die Bezahlung, desto stärker klebt ein Politiker an seinem Amtssessel.

4. Das Volk arbeitet längst daran, die Politikerklasse abzuschaffen.

Unter anderem
- durch das steigende allgemeine Bildungsniveau;
- durch Selbstorganisation und Selbstverwaltung (Selbstschutz, selbstverwaltete Kindergärten, Schulen etc.);
- durch „Selbsthilfe-Politik“ in Bürgerinitiativen, Volksbegehren etc;
- durch die Bekämpfung des Informationsmonopols der Herrschenden und Veröffentlichung geheimer amtlicher Informationen;
- durch die Ignorierung komplizierter Gesetzestexte;
- durch das „Abschießen“ von immer mehr Politikern oder Regierungen im Amt. Faktisch werden die Amtszeiten der Politiker und Regierungen immer kürzer. Ämterrotation ist auch ein Schritt hin zur Abschaffung der Politikerklasse.
Moderne Gesellschaften kommen gut mit Durchschnittsmenschen in der Regierung aus. Wo Jedermensch Regierungschef sein kann, ist auch die Zeit nicht mehr weit, wo wir ganz ohne Regierungschefs auskommen können.



In den entwickelten kapitalistischen Gesellschaften wird erstens meist der dümmere Politiker gewählt (Reagan, Kohl, Chirac, Bush...) und zweitens wird gegen jede gewählte Regierung die parlamentarische Opposition gestärkt.
(Kohabitation in Frankreich; ein Demokraten-Präsident in den USA hat immer eine Republikaner-Mehrheit in mindestens einem der beiden Häuser gegen sich und sobald der Republikaner Bush gewählt war, bekamen die Demokraten in beiden Häusern die Mehrheit; solange die CDU eine Mehrheit im Bundestag hatte, hatte die SPD eine Mehrheit im Bundesrat. Seit wir eine SPD-geführte Regierung haben, bekam die CDU die Mehrheit im Bundesrat - trotz Bestechungsskandalen und schwarzen Kassen.)

Durchschnittsmenschen als Regierungschefs zu haben und gegen jede Regierung die Opposition zu stärken,  sind legale, aber wirkungsvolle Methoden, die Macht von Regierungen zu zügeln.
Darin zeigt sich die Weisheit, mit der das Volk seine Stimmzettel benutzt, falls es die Stimmzettel überhaupt noch benutzt. Auch die zunehmende Wahlenthaltung untergräbt Autorität und Macht des Staates und seiner „Diener“.

5. Politiker sterben langsam aus

Insgesamt gibt es in der Republik rund 170.000 politische Mandate auf Bundes-, Landes-, Kreis und Gemeindeebene. Das Reservoir an Politikern indes schrumpfte in den letzten zehn Jahren dramatisch. 400.000 Menschen gingen den sechs im Bundestag vertretenen Parteien seit Anfang der 90er Jahre von der Stange. Jedes fünfte Mitglied gab sein Parteibuch zurück.

Von den verbliebenen ist im Schnitt nur knapp jeder Dritte bereit, ein öffentliches Amt zu übernehmen. Das heißt: Die so genannten Volksparteien können für jedes der 170.000 Wahlämter gerade mal einen Bewerber aufbieten. Schon jetzt droht jedem, der aus Versehen in die Mitgliederversammlung der Ortspartei stolpert, ein Sitz im Stadtrat.


6. Unsere Politiker arbeiten längst daran, sich selber abzuschaffen.

Aus öffentlicher Finanznot und weil die entwickelten kapitalistischen Länder einen Überfluss an Kapital haben, das nach Anlagemöglichkeiten sucht, werden immer mehr öffentliche Aufgaben privatisiert. Kurzfristig mag das Nachteile vor allem für die Beschäftigten dieser Unternehmen bringen. Langfristig schaffen sich die Politiker durch jede Privatisierung selber ab. Falls nicht nur diese oder jene öffentliche Aufgabe privatisiert ist, sondern alle öffentliche Aufgaben, wozu brauchen wir dann noch Politiker und Beamte?

Wal Buchenberg, 24.3.2002, überarbeitet 23.8.04