Zur politischen
Ökonomie der Zuwanderung 1. Zur Geschichte der Immigration
In der Geschichte des
Kapitalismus hatten gerade solche Länder eine hohe Immigrationsrate, die
sich wirtschaftlich rasch entwickelten und besonders dann, wenn sie sich
rasch entwickelten. 1844 zählten die USA eine Bevölkerung von nur 19,5
Millionen, die bis 1855 durch fast 3 Millionen Immigranten ergänzt wurde.
Damals waren die USA noch ein traditionelles Kolonialland, das heißt seine
Einwanderer waren zunächst noch europäische Kleinbauern und Handwerker auf
der Flucht vor der Industrialisierung im eigenen Land und auf der Suche
nach einer vorindustriellen Existenz auf freiem Ackerland. Die zweite und
dritte Immigrantengeneration ab 1863 kam dann meist aus den damaligen
Armenhäusern Europas: Irland, Österreich, Italien, Polen und Russland, und
vergrößerte die Arbeiterarmee der amerikanischen Industrie. Das war die
Zeit als sich die USA daran machten, England industriell zu
überholen. Auch die britische Einwanderung nach Australien wurde
anfangs aus den Verlierern der Industrialisierung gespeist: aus Asozialen
und Kriminellen, ruinierten Handwerkern und irischen Kleinbauern. Zwischen
1861 und 1890 stieg die australische Bevölkerung um zwei Fünftel durch
Immigration. Auch Australien erlebte parallel mit dem Einwandererschub
einen wirtschaftlichen Aufstieg. Ab 1860, als die australische Bevölkerung
um 3,5 Prozent im Jahr wuchs, lagen sowohl die Wachstumsrate der
australischen Wirtschaft als auch der Lebensstandard der breiten Masse in
Australien über den Vergleichszahlen in England. Die erste
amerikanische wie die erste australische Immigrationsbewegung war eine
Flucht vor der Industrialisierung in ein landwirtschaftlich
unerschlossenes Gebiet. Solche Wanderungsbewegungen sind heute nur noch in
geringem Umfang dort möglich, wo landlose Bauern Urwald roden, um sich
Boden aneignen zu können. Die zweite und dritte amerikanische
Immigration, wie die spätere australische waren nicht mehr Bewegungen von
Bauern auf der Suche nach neuem Boden, sondern von Armen, die ein
rückständiger Kapitalismus im eigenen Land schon ruiniert hatte, aber
diese industrielle Umwandlung war nicht dynamisch genug, um die
proletarisierten Bauern und Handwerker in die nur langsam entstehende
heimische Industrie zu saugen. Diese Proletarier zogen in kapitalistische
Kerngebiete mit schnelleren Wachstumsraten. Falls sich die Wachstumsraten
in den industriell entwickelteren Metropolen verlangsamten, die
Proletarisierung in der Peripherie aber weiter zunahm, musste das zu
Reaktionen gegen die Immigration führen. Widerstand gegen
Immigration Es sind die gleichen amerikanischen Gewerkschaften, die als
erste Gewerkschaften der Welt auf dem Arbeiterkongress zu Baltimore 1866
die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag erhoben, die schon bald nach diesem
historischen Schritt eine Begrenzung der Immigration forderten. Die
Gewerkschaften fürchteten durch die Zuwanderung einen Druck auf die Löhne,
also ein Sinken des Lebensstandards der Lohnabhängigen. Darin wurde ihnen
von Marx und Engels durchaus recht gegeben. Engels schrieb 1882 über
die USA: „Und diese fabelhafte Reichtumsakkumulation wird durch die
enorme Einwanderung in Amerika noch von Tag zu Tag gesteigert. Denn direkt
und indirekt kommt dieselbe in erster Linie den Kapitalmagnaten zugute.
Direkt, indem sie die Ursache einer rapiden Steigerung der Bodenpreise
ist, indirekt, indem die Mehrzahl der Einwanderer den Lebensstandard der
amerikanischen Arbeiter herabdrückt.“ (MEW 19, S. 307). Dass
Immigration eine lohnsenkende Wirkung hat, die vor allem in den
Lohnbereichen wirkt, wo sich das Angebot an Arbeitskräften vermehrt, wird
auch von heutigen Untersuchungen bestätigt: „In den letzten zwei
Jahrzehnten wuchs in den USA sowohl der Import aus Billiglohnländern sowie
die Immigration von gering qualifizierten Arbeitskräften. Gleichzeitig
sank das Lohnniveau der unqualifizierten Lohnarbeiter in den USA deutlich
im Vergleich zum Lohnniveau der qualifizierten Arbeit.“
(Literatur-Dokumentation zur Arbeitsmarkt und Berufsforschung 1998/99
b-489, hrsg. vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der
Bundesanstalt für Arbeit.) Senkung der Lohnkosten bedeuten aber für das
Kapital automatisch höhere Profite. Daher werden die ökonomischen
Wirkungen der Immigration in der wirtschaftswissenschaftlichen
Fachliteratur überwiegend positiv beurteilt: „Der Autor analysiert die
ökonomischen Konsequenzen der Einwanderung in die USA seit 1800 und ...
beurteilt die Wirkungen der Wanderungen - auch in jüngster Zeit ...
insgesamt positiv.“ Literatur-Dokumentation. 1993/94 a-1475. Wenn
der Zufluss billiger Arbeitskraft aus dem Ausland für das große Kapital so
profitabel ist, warum gab und gibt es dann in so vielen Ländern politische
Strömungen, die sich gegen die Immigration stemmen? Gewinner und
Verlierer Die wirtschaftlichen Wirkungen einer zahlenmäßig spürbaren
Immigration sind vielfältig. Forderungen nach Begrenzung oder Stopp der
Immigration wurden schon frühzeitig in den USA auch von den
erzkonservativsten Kräften erhoben: - Das waren einerseits die früher
angekommenen Immigranten, bei denen sich der „amerikanische Traum“ nicht
erfüllt hatte und die immer noch auf eine vorindustrielle Existenz als
selbständige Bauern hofften, als der zu verteilende Boden in den USA schon
knapp wurde. - Andererseits wandte sich die herrschende altbritischen
weiße Elite gegen die Immigration, weil sie ihre gewachsene politische
Vorherrschaft gegenüber einer zunehmend nichtbritischen Bevölkerung in
Gefahr sah. Sie befürchtete einen zunehmenden Loyalitätsverlust bei den
neuen Immigranten, die nicht aus dem eigenen protestantischen und
englischsprachigen Kulturkreis stammten. Untertanen aus dem eigenen
Kulturkreis sind mit weniger Aufwand zu beherrschen. - Ergänzt wurden
diese beiden Schichten von Immigrantengegner durch extreme Reaktionäre,
die im eigenen Volk Loyalität und nationale Identität künstlich züchten
wollten, indem sie mit der Theorie der weißen Überlegenheit Hass auf
Fremde und Zuwanderer schürten und sich für Kolonialismus und
Imperialismus stark machten. Aber diese rassistischen Theorien waren weder
der Ausgangspunkt noch die Ursache der Ausländerfeindlichkeit, sondern nur
eine Folge davon. So vermischten sich in der Bewegung gegen ungebremste
Immigration berechtigte gewerkschaftliche Sorgen um den Lebensstandard vor
allem der ungelernten Arbeiter mit den Sorgen kleiner Bauern um den
knapper werdenden Boden mit dem Herrschaftsinteresse der weißen
Führungsschicht bis hin zu weißen Rassisten und Imperialisten. Diese
politische Koalition, die von ganz rechts bis nach links reichte, bildete
die Kraft, die seit 1880 die amerikanischen Einwanderungsgesetze ständig
verschärfen ließ. Ab 1921 wurde die (legale) Einwanderung radikal
gebremst.
2. Immigration in Deutschland Deutschland ist
gegenwärtig „das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt“.
(Literatur-Dokumentation 1998/99 a-803.) Auch für Deutschland werden
die ökonomischen Folgen der Immigration von Wirtschaftswissenschaftlern
insgesamt positiv beurteilt: „Seit 1988 kamen 1,1 Millionen Übersiedler
aus der ehemaligen DDR, 1,35 Millionen Aussiedler aus den ehemaligen
Ostblockstaaten und mehr als 1,8 Millionen Asylbewerber in die alte
Bundesrepublik; insgesamt also über 4,2 Millionen Personen. Die ...
ökonomischen Auswirkungen dieses starken Zustroms waren bislang durchweg
positiv... unter den insgesamt zugewanderten 2,1 Millionen potentiell
Erwerbstätigen hatten immerhin 1,4 Millionen Personen bis zum Jahresende
1992 einen Arbeitsplatz gefunden.... Die durchschnittliche Zuwachsrate des
Sozialprodukts ist mit der Zuwanderung in den Jahren 1988 bis 1992 um
reichlich 1 v.H. gestiegen... Die aus der Mehrbeschäftigung und dem
zusätzlichen Wirtschaftswachstum resultierenden Steuer- und
Beitragseinnahmen überstiegen im Jahr 1992 die staatlichen Leistungen an
die Zuwanderer um mehr als 14 Mrd. DM.“ Literatur-Dokumentation.
1993/94 a-1411. Dass das Kapital ein Interesse am Zustrom billiger und
besser noch: billiger und qualifizierter Arbeitskräfte hat, glauben wir
gern. In der Fachliteratur heißt es: „Empirical data on major cities in
advanced economies ... reveal that there is an ongoing demand for
immigrant labour and a continuing stream of employment opportunities which
do not require high educational levels and which pay low wages.“
Literatur-Dokumentation. 1998/99 a-1648. Trotzdem gab es und gibt es in
Deutschland hartnäckige Argumente gegen einen ungebremsten Zuzug von
Immigranten. Schauen wir doch einmal genauer hin, wer wirtschaftliche
Vorteile und wer wirtschaftliche Nachteile vom ungebremsten Zuzug von
Immigranten nach Deutschland hat. Für eine Modellrechnung vergleiche ich
einmal die wirtschaftlichen Folgewirkungen von 100.000 Immigranten eines
Jahres und mit den Wirkungen von 100.000 Geburten in Deutschland im selben
Zeitraum (Die tatsächliche Zahl der Geburten betrug 1995: 765.221). Um die Untersuchung zu
vereinfachen, gehe ich davon aus, dass diese Immigranten weder
Deutschkenntnisse noch private Kontakte in Deutschland haben, die ihr
Fußfassen erleichtern könnten.
2.1 Konsumnachfrage 2.11 Wohnraum 2. 111 Wohnraum für
Immigranten Die 100.000 Immigranten bringen beim Übertritt über die
deutsche Grenze vielleicht noch ein paar Habseligkeiten und etwas zu Essen
und brauchen als erstes Wohnraum. Rechnen wir pro Person 10 m2,
was allerdings weit unter dem in Deutschland erreichten Wohnstandard
liegt, dann ergibt das eine zusätzliche Nachfrage nach Wohnraum von rund 1
Million m2. Finanziert werden muss dieser zusätzliche Wohnraum
für die Immigranten ganz aus Steuern. Vorteile von dieser zusätzlichen
Nachfrage haben kleine Baukapitalisten, die sich auf Wohnbaracken
spezialisiert haben und einige clevere Hausbesitzer, die für verkommene
Altbauwohnungen hohe Mieten aus Steuermitteln bekommen. Nachteile haben
vor allem ganz Arme in schlechtesten Wohnverhältnissen, deren Mieten durch
die zusätzliche Nachfrage nach billigstem Wohnraum ansteigen werden.
Anzunehmen ist, dass einige Arme, die ihre Miete nicht regelmäßig zahlen
können, durch diese Nachfragewirkung in die Obdachlosigkeit
fallen.
2.112 Wohnraum für Babys Die 100.000 Geburten
brauchen zunächst nur rund 1,5 m2 pro Person für Bettchen,
Wickelkommode und Wäschefach. Diese 150.000 m2 zusätzlich
nötiger Wohnraum tritt aber nicht als käufliche Nachfrage auf den Markt,
denn die meisten Eltern rücken in ihrer Wohnung enger zusammen und falls
sie doch in eine größere Wohnung ziehen, wird diese privat, nicht aus
Steuermitteln finanziert.
2.12 Energie, Heizung, Strom, Wasser
für Immigranten und Babys Es kann wohl davon ausgegangen werden,
dass 100.000 in Deutschland geborene Babys bei den „Wohnnebenkosten“ nicht
weniger Zusatzbedarf darstellen als 100.000 neue Immigranten. Allerdings
muss der Immigrantenbedarf ausschließlich aus Steuermitteln finanziert
werden, der Bedarf der Babys wird von den privaten Haushalten - in der
Regel aus dem Lohn - getragen, wenn wir einmal vom Kindergeld und
steuerlichen Vorteilen für Kinder absehen.
2. 13 Kleidung und
Essen für Immigranten und Babys Der Bedarf von in Deutschland
geborenen Kleinkindern bei Essen und Kleidung wird in Geldwert ungefähr
dem Bedarf von erwachsenen Immigranten entsprechen, weil deren Konsum
staatlicherseits auf ein sehr niedriges Niveau gedrückt wird. Auch hier
wird der Bedarf von Kleinkindern vorwiegend aus privaten Mitteln getragen,
der Bedarf der Immigranten aus öffentlichen Mitteln, wenn wir private
Kleiderspenden u.ä. außer Acht lassen.
2.2 Zirkulation, Handel
und Verkehr (Konsumnachfrage und Arbeitskraftzufuhr) Die Nachfrage
im Handel steigt also durch 100.000 Immigranten mehr oder minder gleich
stark wie durch 100.000 Neugeborene. Die Einzelhandelskapitalisten können
sich über den vergrößerten Markt freuen und es kann ihnen egal sein, ob
diese zusätzliche Nachfrage über öffentliche oder private Mittel
finanziert wird. Allerdings kaufen Immigranten und Eltern von Babys nicht
unbedingt in den gleichen Geschäften oder den gleichen Abteilungen der
Kaufhäuser. Gerade der Billigmarkt für Kleidung und Lebensmittel wird
beherrscht von großen Handelsketten, dem großen Kapital. Der Markt für
Babybedarf bietet - abgesehen von industrieller Babynahrung - eher noch
profitable Nischen für kleinere Händler. Auch bei ihrer Suche nach
Arbeit tauchen die 100.000 Immigranten kaum in Babyfachgeschäften auf.
Kleine Händler mit zum Teil besser gestellten Kunden beschäftigen wenig
ausländisches Personal. Dagegen bieten große Handelsketten relativ viele
Billigarbeitsplätze für Hilfskräfte (Reinigung, Lagerarbeiten etc.). Dort
sind zusätzliche Immigranten als Billigarbeiter willkommen. Für die
Kleinhändler kommt hinzu, dass sie zwar von den großen Ladenketten und
Kaufhäusern kaputt konkurriert werden - jährlich gehen rund 60.000
Kleinkapitalisten und kleine Gewerbetreibende bankrott - , ihre Läden und
Kioske werden aber dann häufig von Ausländern übernommen, die mit einer
geringeren Rendite zufrieden sind. Scheinbar verdrängen also ausländische
Kioskbesitzer und Lebensmittelhändler die deutschen Kleinhändler. In
welchem Umfang das geschieht, kann man in jeder Großstadt sehen, wo viele
kleine Läden in den Nebenstraßen von Ausländern geführt werden. Zur Zeit
sind 7,13 % oder 213.000 Ausländer selbständige Gewerbetreibende und die
Selbständigkeitsquote der Deutschen geht zurück, während sie bei den
Ausländern ansteigt. Solche Ausländer stellen quasi die
„Ausländeraristokratie“, deren Erfolgsstory sich in den Heimatländern
herumspricht, was weitere Immigranten nachzieht. Die kleinen
Einzelhändler in Deutschland freuen sich eher über einen Babyboom als über
den Immigrantenzuzug. Vom Ruin bedrohte kleine Selbständige sehen daher
vielleicht Gründe für Ausländerhass. Es ist auch schon vorgekommen, dass
mehrere Kleingewerbetreibende Geld zusammenlegten, um Jugendliche
anzustiften, ein Asylantenheim „abzufackeln“.
2.2 Zirkulation,
Kriminalität Die Kriminalität kann man unter ökonomischem
Gesichtspunkt als eine besondere Branche der Zirkulation ansehen. Durch
Kriminalität werden keine Werte geschaffen, sondern meist schon
geschaffene Werte mit besonderen Mitteln umverteilt. Welche Mittel der
Eigentumsumverteilung als kriminell gelten, wird in jeder Gesellschaft von
den Herrschenden bestimmt. Gesetze bestrafen nicht nur Kriminalität, sie
schaffen sie auch. Unbestreitbar ist jedoch, dass in den Fällen, wo
Immigranten in die Kriminalität abgerutscht sind oder hineingezwungen
wurden, sie deutliche Konkurrenzvorteile in allen Branchen haben, die mit
grenzüberschreitendem Verkehr verbunden sind, wie Drogenhandel,
Prostitution ausländischer Frauen, Waffenschieberei und Autoschieberei.
Man muss davon ausgehen, dass sie in diesen Sparten eine ernstzunehmende
Verdrängungskonkurrenz für deutsche Kriminelle darstellen. Also haben
Leute aus dem kriminellen Milieu auch ernstzunehmende Gründe für
Ausländerhass. In rechtsextremen Organisationen sind auch überproportional
Vorbestrafte vertreten.
2.3 Produktion (Konsumnachfrage und
Arbeitskräftezufuhr) Durch Immigration wie durch Neugeburten
entsteht ein Zusatzbedarf, der über die zusätzliche Nachfrage die
Produktion und das Wirtschaftswachstum fördert. Davon profitiert zunächst
die Konsumgüterproduktion in Landwirtschaft und Industrie. Allerdings
liegt der Bedarf der Immigranten eher im Billigkonsum mit niedrigen
Profitraten, während die Profitraten für Babyprodukte deutlich höher
liegen. Mit den Immigranten drängen zusätzliche Billigarbeitskräfte auf
den Arbeitsmarkt, was nach Gesetzen von Nachfrage und Zufuhr auf dem
Arbeitsmarkt lohnsenkende Wirkungen vor allem auf die unteren Lohngruppen
ausübt. Der Anteil der Ausländer an Lohnabhängigen insgesamt betrug
1995: 9,4 %, Davon sind schlecht bezahlte Berufe oder Berufe mit hohem
Gesundheitsrisiko deutlich überproportioniert: Der Ausländeranteil beträgt
bei den - Schweißern: 28,3 %, - Hilfsarbeitern: 23,9 %, -
Bergleuten: 21,7 %, - Reinigungsberufen: 21,7%. Auch die
Arbeitslosigkeit der ausländischen ArbeiterInnen ist immer höher als der
deutsche Durchschnitt. Die Löhne der Facharbeiter und anderer höher
qualifizierter Lohnarbeit (Ingenieure, Programmierer, mittlere und höhere
Verwaltungsangestellte) werden durch die Immigration (noch) kaum berührt,
weil dort die Zufuhr gering ist. Dass jetzt auch indische Programmierer
nach Deutschland kommen ist neu. Eine Lohn- und Arbeitsplatzkonkurrenz
spüren also vorerst vor allem junge, ungelernte Arbeiter, sowie ältere
oder kränkliche Lohnarbeiter, die ihre volle Leistungsfähigkeit für das
Kapital verbraucht haben und entweder schon arbeitslos oder nur noch eine
Art „Gnadenbrot“ auf Billigarbeitsplätzen fristen, z.B. als Lagerarbeiter, Pförtner,
Wachpersonal oder Werkboten. Diese gering qualifizierten oder
„verbrauchten“ Arbeiterschichten sind also für ausländerfeindliche und
rassistische Propaganda ansprechbar.
3. Gewinner und Verlierer
der Immigration Zunächst zeigte sich, dass die wirtschaftlichen
Wirkungen der Immigration gemischt sind. Etliche Wirkungen verlaufen mehr
oder minder quer durch die sozialen Klassen der BRD. Zu den nicht
klassenspezifischen Immigrationsgewinnern zählen z.B. die Kunden von
ausländischen Gemüsegeschäften wie die Besucher von ausländischen Kneipen,
die ein größeres und preiswerteres Angebot vorfinden. Zu den nicht
klassenspezifischen Verlierern zählen die Steuerzahler durch erhöhte
Staatsausgaben. Aber man kann und muss einige Verlierer und Gewinner
auch klassenmäßig zuordnen: Zu Immigrationsgewinnern zählen sicherlich
die (Groß)Kapitalisten, die mit der Zufuhr von billigster Arbeitskraft
ihre Gesamtlohnkosten senken und so ihre Ausbeutungsrate steigern können,
ob sie nun Ausländer einstellen oder nur damit drohen. Das (große) Kapital
in Deutschland ist „ausländerfreundlich“ und es wurde auch schon mal ein
Manager gefeuert, der seine rechten Neigungen mit der Reichskriegsflagge
zur Schau stellte. Zu den (scheinbaren) Immigrationsverlierern gehören
kleine Gewerbetreibende, die zwar vom großen Kapital in den Bankrott
getrieben werden, aber anschließend erleben, dass Ausländer ihre Geschäfte
mit niedrigerer Gewinnspanne weiter führen. Solche vom Ruin bedrohten
Gewerbetreibende neigen zum Ausländerhass. Zu den
Immigrationsverlierern gehört auch die oberste Staatsbürokratie und
herrschende Politikerkaste des Bundes, der Länder und in jeder einzelnen
Stadt. In erster Linie fürchten sie einen Loyalitätsverlust. Je bunter
gemischt ihre Untertanen sind, desto schwerer haben es diese Leute, sich
Respekt und Gehorsam zu verschaffen. Hinzu kommt für sie noch der
finanzpolitische Aspekt: Denn ein Zustrom von Immigranten erzwingt
sofortige zusätzliche staatliche Ausgaben und schränkt damit den
finanziellen Entscheidungsraum dieser herrschenden Bürokratie ein. Das
erklärt, warum in Zeiten hoher Staatsverschuldung, wo ein wachsender Teil
der Steuereinnahmen von vornherein vom Bankkapital für den Schuldendienst
in Beschlag genommen wird, die Ausländerfeindlichkeit von der
Staatsbürokratie ignoriert, bagatellisiert oder sogar gefördert
wird. Neben diesen „aufgeklärten“ Politikern und Staatsbürokraten gibt
es aber auch noch rechtsextreme Politiker, die den Untertanengeist
(sprich: Loyalität) damit fördern wollen, dass sie “deutsche Identität“
als Leitkultur anpreisen und damit ein Überlegenheitsgefühl über Ausländer
fördern, das jederzeit in Ausländerhass umschlagen kann. Zu den
klassenmäßigen Verlierern gehört schließlich die unqualifizierte oder
gesundheitlich angeschlagene Arbeitskraft in den unteren Lohngruppen und
schließlich solche, die aus der Lohnarbeit dauerhaft verdrängt wurden.
Bei all diesen Immigrationsverlierern ist die soziale Basis der
Ausländerfeindlichkeit zu suchen, wobei der intellektuelle „harte Kern“
dieser Ausländerfeindlichkeit wohl in der Spitze der Staatsbürokratie
liegt. Da Immigranten in Deutschland fast rechtlos sind, trifft die
Staatsbürokratie alle Entscheidungen über und für die Immigranten, wobei
sie ihre Rücksichtslosigkeit gegen die Immigranten als Rücksicht auf die
Deutschen darstellen kann. Der Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit ist
daher in erster Linie ein Kampf gegen die Staatsbürokratie, das heißt ein
politischer, ein demokratischer Kampf gegen staatliche
Bevormundung. Aber die Sache hat auch eine soziale Seite. Von der
Immigration ist nicht nur das Kleinkapital und das kriminelle Milieu
betroffen, auf deren Empfindlichkeiten die Arbeiterbewegung und die Linke
wohl wenig Einfluss nehmen kann. Es sind auch Teile der Arbeiterklasse
betroffen, und zwar fast nur die schwächsten Teile der Arbeiterklasse, die
in der Konkurrenz um Arbeitsplätze und ausreichenden Lohn am meisten auf
die Solidarität der besser Qualifizierten und besser Bezahlten angewiesen
sind. Die Frage, welche und wie viele Immigranten in Deutschland
willkommen sind, ist auch eine Frage der Steuerung der Arbeitskonkurrenz
in den unteren Lohngruppen.
3.1 Praktische Folgerung Im
Moment ist es so, dass die Gewerkschaften dabei nur den sozialen Aspekt
betonen und aus Sorge um das Lohnniveau eine Steuerung der Immigration
fordern, während viele Linke nur den politischen Aspekt der Immigration
sehen, und sich gegen die Bevormundung der Immigranten durch den
Staatsapparat und gegen seine schikanöse Behandlung dieser Menschen zur
Wehr setzen. Diese politische Aspekt der Rechtlosigkeit und staatliche
Schikane wird in den Gewerkschaften weitgehend ignoriert: sie überlassen
alle konkreten Maßnahmen in Sachen Immigration ausgerechnet der
Staatsbürokratie. Wenn viele Linke im Gegensatz zu den Gewerkschaften
allerdings einen freien Zuzug aller Immigranten fordern, wollen sie zwar
verhindern, dass die Politikerkaste in dieser Frage die Entscheidungsmacht
behält, aber sie verschließen ihre Augen vor den sozialen und
wirtschaftlichen Folgen einer zahlenmäßig hohen Immigrationsrate. In der
Praxis überlassen sie das Ausmaß der Immigration den Marktgesetzen ohne
politische Einmischung. Im besten Fall ist das eine neoliberale Politik,
im schlimmsten Fall ist das eine Chaospolitik, die möglichst viel kaputt
machen will, um damit eine „revolutionäre Situation“ herbeizuzwingen.
Daher kann diese Forderung nie mehrheitsfähig werden. Eine
praktikable und mehrheitsfähige Methode, die Frage des Immigrantenzuzugs
in einem demokratisch legitimierten Rahmen zu diskutieren und zu
entscheiden, wäre es, wenn ein gemeinsamer Gewerkschaftstag der großen
Gewerkschaften jährlich über die Auswahlkriterien und die Anzahl der
Immigranten des Folgejahres beraten und entscheiden würde. Wal
Buchenberg, 24.08. 2000 |