Kapitalismus ist ein Flug mit GermanWings

  • Nein, Kapitalismus ist nicht für alle gleichermaßen tödlich, wie auch nicht jeder Flug mit GermanWings für die Insassen tödlich endet.
    Es gibt dennoch wesentliche Gemeinsamkeiten, die wir als lohnabhängige „Insassen des Kapitalismus“ mit den Insassen eines Fluges bei GermanWings teilen:


    1. Die Flug-Insassen haben keinen direkten Einfluss auf den Zielort.
    Welche Zielorte geflogen werden, bestimmen die Kapitalisten von GermanWings bzw. ihre Geschäftsführer. Aus dieser von GermanWings festgelegten Flugliste, können wir einen Flug auswählen.
    So haben auch wir Insassen und Passagiere des Kapitalismus keinen direkten Einfluss auf die Waren und Dienstleistungen, die angeboten werden. Über das Waren- und Dienstleistungsangebot bestimmen die Kapitalisten.
    Ja, dieses Angebot ist vielfältig. Wir können allerdings nur das auswählen, was wir auch bezahlen können. Und über unsere Bezahlung (über unseren Lohn) bestimmen wiederum (hauptsächlich) die Kapitalisten und ihre Vertreter. Da bleibt von der Vielfalt der Warenwelt für uns nicht mehr viel übrig. Ganz im Gegenteil: genau die Waren, die wir am dringendsten brauchen – billiger Wohnraum, bequeme Verkehrsmittel, haltbare Kleidung, gute Ausbildung und gesunde Lebensmittel usw – sind im Kapitalismus immer knapp im Angebot.
    Der "Zielort" des Kapitalismus sind nicht die unsere Bedürfnisse, sondern der Profit. Der Profit ist der "Flughafen" des Kapitalismus, wo alle Aktivitäten hinzielen.


    2. Individuelle Wünsche zählen weder bei GermanWings noch im Kapitalismus.
    Du willst nach Tavascan, weil es dort schön ist? Tavascan ist nicht im Angebot von GermanWings. GermanWings fliegt nach Barcelona. Von da musst du selbst sehen, wie du weiter kommst.
    Du brauchst Schuhe, die nicht drücken? Individuell angepasste Schuhe sind in keinem Schuhgeschäft im Angebot. Da gibt es nur feste Größen von 34 bis 45. Wer größere oder kleinere, breitere oder krümmere Füße hat, muss selbst sehen, wie er damit zurecht kommt.


    3. Über die technische Basis – Flugzeugtyp, Alter des Flugzeugs, Qualität der Wartung etc. – bestimmt allein GermanWings.
    Den Flugzeuginsassen werden alle technischen Informationen vorenthalten. Mag sein, dass nicht jeder Einzelne mit solchen Informationen was anfangen kann, aber wir könnten uns das eine oder andere erklären lassen. Letztlich entscheidet auch die technische Basis über unser Leben und Tod.
    Im Kapitalismus entscheiden generell nur ganz Wenige über Sicherheitsfragen, die uns alle betreffen. Das beginnt mit Gift im Essen, mit Schadstoffen in Produkten, das betrifft die Sicherheit der Straßen, der Verkehrsmittel bis hin zur angeblichen Sicherheit von Fabrikanlagen und Atomkraftwerken.
    Ja, es gibt den TÜV, es gibt Sicherheitsingenieure, es gibt gesetzliche Vorgaben und Vieles mehr. Aber in jedem einzelnen Fall entscheiden nicht die Fachleute, sondern die Kapitaleigner ob ein Auto, eine Lok oder ein Flugzeug so gebaut wird, wie es dann gebaut wird. Im Kapitalismus entscheidet nicht der Sachverstand, sondern der Profit.


    Ich gebe gerne zu, dass sich in punkto Sicherheit einiges im Kapitalismus getan und verbessert hat. Das geht auch aus der folgenden Grafik über die Unfälle und Todesopfer der zivilen Luftfahrt seit 1920 hervor:




    Im Jahr 1972 wurden weltweit 3.329 Verkehrstote in der zivilen Luftfahrt gezählt. Seit 2000 waren es noch durchschnittlich 1000 pro Jahr, mit fallender Tendenz. 1000 Tote im Jahr sehen die Verantwortlichen der Fluggesellschaften jedoch als „geringe Opfer“ und als „unvermeidbar“ an, sonst würden sie nicht ständig Statistiken bemühen, die zeigen, wie „sicher“ das Fliegen sei, und sonst würden sie nicht Flugzeuge auf die Reise schicken, die 24 Jahre schon im Dienst sind.


    Es spricht einiges dafür, dass wir derzeit eine „Talsohle“ von Luftverkehrsopfern durchschritten haben und dass wir in naher Zukunft wieder mit mehr Todesopfern im Luftverkehr und auch in allen anderen Verkehrsarten zu rechnen haben.
    Dafür spricht, dass die Fluggesellschaften mit allen Mitteln Kosten sparen wollen, bei der Technik angefangen bis hin zum Flugpersonal.
    Dafür spricht die allgemeine Überlastung der kapitalistischen Infrastruktur, die sich nicht nur in der Ermüdung von Flugzeugmetall zeigt, sondern auch in der wachsenden Anzahl maroder Brücken und ausgefahrener Fahrspuren.


    4. Das Flugpersonal wird nicht von den Flugzeuginsassen ausgewählt, sondern von den Kapitaleignern der Fluggesellschaft und deren Vertreter.
    Im Kapitalismus gilt generell die Regel: Führungskräfte werden nicht von denen gewählt, die mit und unter ihnen arbeiten müssen. Führungskräfte werden von den Kapitaleignern bestimmt. Sie entscheiden, welche Ausbildung ein Pilot oder ein Firmenmanager haben muss. Sie bestimmen, wie lange er arbeitet und bis in welches Alter. Und offenbar haben die Fluggesellschaften mehr Vertrauen in ihre Piloten als in ihre Passagiere, sonst würden sie keine Türen einbauen, die sich von außen nicht öffnen lassen.
    Ja, wir haben Demokratie! Diese Demokratie erlaubt uns gerade mal über 1857 Landtagsmandate und 631 Bundestagsabgeordnete zu entscheiden. Es gibt aber rund 1,7 Millionen „Staatsdiener“ oder Beamte, die das tägliche Management des Staatsapparates betreiben. Über deren Auswahl und über deren Tätigkeit haben wir nichts zu bestimmen.


    5. Wir Lohnabhängige sind also im Kapitalismus wie Flugzeugpassagiere hilflos und einflusslos. Andere bestimmen über die Flugzeiten, die Flugrouten, über die Wartung und über das Führungspersonal usw.
    Die Fliegerei ist wie der Kapitalismus eine Klassengesellschaft: Ganz Wenige entscheiden über das Schicksal von uns Vielen – und diese Wenigen haben uns weder Verstand noch Bildung voraus. Sie besitzen allenfalls Informationen, die sie als „Geschäftsgeheimnis“ hüten und vor der Öffentlichkeit und vor uns verbergen.


    Ja, wir Lohnabhängige sind weitgehend hilflos und einflusslos im Kapitalismus.
    Wir können uns damit trösten, dass jährlich nur rund 1000 Menschen im Flugzeug und durch das Flugzeug sterben – wir sind hoffentlich nicht dabei.
    Wir können uns damit trösten, dass im Kapitalismus und durch den Kapitalismus jedes Jahr rund 10 Millionen Menschen verhungern – wir sind zum Glück nicht dabei!
    Wir können uns damit trösten, dass in den letzten 50 Jahren gut 100.000 Menschen jährlich in den Kriegen der Mächtigen getötet werden – wir waren nicht dabei.


    Wal Buchenberg

  • Nachdem bekannt wurde, dass der Mordpilot von GermanWings den Flieger mit 150 Menschen an Bord mit Absicht hat abstürzen lassen, erklärte Lufthansa-Chef Carsten Spohr vor der Presse, dass Andreas Lubitz „hundertprozentig flugtauglich“ gewesen sei.
    Das weiß so ein Guru-Chef, ohne mit seinem Angestellten gesprochen zu haben und ohne dessen Arzt konsultiert zu haben!


    Andere wissen, dass die Flugbegleiter und Piloten chronisch überarbeitet sind, häufig unter Depressionen und unter Alkoholsucht leiden. Auch das haben sie mit vielen anderen Lohnabhängigen gemeinsam.
    Die Metapher „Kapitalismus gleicht einem Flug mit GermanWings“ passt auch hier.
    Gruß Wal

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