Problematische Aussage bei Marx (Wertbestimmung)

  • Es gibt hier noch eine aus meiner Sicht problematische Aussage bei Marx Band III, MEW 25, S. 889:


    "Obgleich die Form der Arbeit als Lohnarbeit entscheidend für die Gestalt des ganzen Prozesses und für die spezifische Weise der Produktion selbst, ist nicht die Lohnarbeit wertbestimmend. In der Wertbestimmung handelt es sich um die gesellschaftliche Arbeitzeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat und dessen relative Absorption durch die verschiednen Produke gewissermape deren respektives gesellschaftliches Gewicht bestimmt."

  • Hallo Thomas,

    ich habe dein Thema separiert, weil es wenig mit der Sklavenarbeit zu tun hat (wo du es platziert hattest), und weil das Thema auch eine eigenständige Behandlung verdient.


    Und Ja, es gibt bei Marx viele, viele „problematische Aussagen“. ;-)


    Das 51. Kapitel, aus dem du die Aussage von Marx genommen hast, heißt: „Distributionsverhältnisse und Produktionsverhältnisse“ – es handelt also nicht von einzelnen Kapitalisten oder einzelnen Lohnarbeiter, sondern um die Kapitalisten und Lohnarbeiter insgesamt, es ist eine gesamtgesellschaftliche Betrachtung.


    In den Textabschnitten vor deinem Zitat ist von den spezifischen Verteilungsverhältnissen des Kapitalismus die Rede:

    „Jene Verteilungsverhältnisse ....geben den Produktionsbedingungen selbst und ihren Repräsentanten eine spezifische gesellschaftliche Qualität. Sie bestimmen den ganzen Charakter und die ganze Bewegung der Produktion.“ (S. 886).

    „Erstens. Sie produziert ihre Produkte als Waren...

    Das zweite, was die kapitalistische Produktionsweise speziell auszeichnet, ist die Produktion des Mehrwerts als direkter Zweck und bestimmendes Motiv der Produktion.“ (S. 886-7).

    Dann folgt dein Zitat:

    "Obgleich die Form der Arbeit als Lohnarbeit entscheidend für die Gestalt des ganzen Prozesses und für die spezifische Weise der Produktion selbst, ist nicht die Lohnarbeit wertbestimmend. In der Wertbestimmung handelt es sich um die gesellschaftliche Arbeitzeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat und dessen relative Absorption durch die verschiednen Produke gewissermaßen deren respektives gesellschaftliches Gewicht bestimmt." (S. 889)


    Wie löst sich nach meiner Meinung das Problem?

    Ich denke, wir müssen unterscheiden zwischen WERTBILDEND und WERTBESTIMMEND.


    Produktive Lohnarbeit ist selbstverständlich wertbildend, aber Marx sagt hier (und anderswo auch): Die (einzelne, individuelle) Lohnarbeit ist nicht wertbestimmend. Wertbestimmend ist laut Marx „die gesellschaftliche Arbeitszeit überhaupt, das Quantum Arbeit, worüber die Gesellschaft überhaupt zu verfügen hat“.

    Diese, die Wertgröße bestimmende Arbeitszeit, ist also nicht die verbrauchte Arbeitszeit eines einzelnen Arbeiters oder eines einzelnen Produktionsbetriebes. Es ist die verbrauchte (Normal)Arbeitszeit, die in die Gesamtmenge der hergestellten Güter und Dienstleistungen geflossen ist.


    Nehmen wir ein Beispiel:

    Die Gesamtarbeitszeit einer Gesellschaft in einem Jahr erbringe einen Gesamtwert von 100.

    Im Laufe eines bestimmten Arbeitsjahres stellte sich heraus, dass die gesamte Arbeitszeit, die für die Produktion des Airbus 380 aufgewendet wurde, umsonst war, weil die produzierten Airbusse nicht verkauft werden können. Die Gesamtjahreswert dieses Gesellschaft bleibt 100, aber dieser Gesamtwert 100 verteilt sich auf WENIGER Produkte. Die unverkäuflichen Airbusse gehen nicht in die Wertproduktion ein. Die anderen Waren sind im Wert gestiegen.

    Dasselbe passiert bei Kriegen oder Naturkatastrophen, die die gesellschaftliche Produktionsleistung vermindern. Und umgekehrt kann durch ein besonders fruchtbares Jahr die Produktionsleistung steigen, dann steigt die Gesamtproduktion und auf die einzelnen Waren entfällt weniger Wert.


    Ein Beispiel aus der Physik:

    Nehmen wir an, ein Auto bleibt im Schlamm stecken. Nun packen 10 Leute rings um das Auto mit an, um den Wagen aus dem Morast zu ziehen. Einige ziehen hinten, mehrere an der Seite. Ihre eingesetzte Gesamtkraft sei 150. Die Kraft, die zur Überwindung der Haftreibung des Wagens nötig ist, sei 100. Die wirkende Kraft hängt jedoch von Einsatzwinkel jeder einzelnen Kraft ab. Eine schräg oder seitlich wirkende Zugkraft geht nur teilweise in das Kräfteparallelogramm ein. So kann es sein, dass die Ziehenden 150 als Kraft einsetzen, wovon aber nur 100 wirkt. Die subjektiv eingesetzte Kraft ist 150. Die objektiv erreichte Kraft ist 100.

    "Wertbestimmend" ist die wirkende Kraft, nicht die subjektiv eingesetzte Kraft.


    Als Anhang:

    Produktive Lohnarbeit ist wertbildend:

    „Die Substanz des Werts ist und bleibt nichts außer verausgabter Arbeitskraft – Arbeit, unabhängig von dem besonderen nützlichen Charakter dieser Arbeit –, und die Wertproduktion ist nichts als der Prozess dieser Verausgabung.

    So gibt der Leibeigene während sechs Tage Arbeitskraft aus, arbeitet während sechs Tagen, und es macht für die Tatsache dieser Verausgabung als solcher keinen Unterschied, dass er z. B. drei dieser Arbeitstage für sich auf seinem eigenen Feld und drei andere für seinen Gutsherrn auf dessen Feld verrichtet. Seine freiwillige Arbeit für sich und seine Zwangsarbeit für seinen Herrn sind gleichmäßig Arbeit; soweit sie als Arbeit mit Bezug auf die von ihr geschaffenen Werte oder auch nützlichen Produkte betrachtet wird, findet kein Unterschied in seiner sechstägigen Arbeit statt. ...

    Ebenso verhält es sich mit der notwendigen und der Mehrarbeit des Lohnarbeiters.“ K. Marx, Kapital II, MEW 24, 384f.

    „Der Wert der Ware ... stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher Arbeit überhaupt.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 58f.

    „Alle Arbeit ist .... Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Warenwert....“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 61.


    „Der Produktionsprozess erlischt in der Ware. Dass in ihrer Herstellung Arbeitskraft verausgabt worden ist, erscheint jetzt als dingliche Eigenschaft der Ware, dass sie Wert besitzt; die Größe dieses Werts ist gemessen durch die Größe der verausgabten Arbeit; in ein weiteres löst sich der Warenwert nicht auf und besteht aus nichts anderem.“ K. Marx, Kapital II, MEW 24, 384f.

    Die Größe der Warenwerte wird allerdings nicht auf der Ebene des einzelnen Arbeiters oder eines einzelnen Arbeitstages entschieden. Die Größe der Warenwerte entscheidet sich auf der Ebene der Gesamtgesellschaft und innerhalb des gesamten Produktionsprozesses der Gesellschaft (meist gerechnet als ein Arbeitsjahr).


    Nur die gesellschaftlich notwendig (Gesamt)Arbeitszeit ist wertbestimmend:

    „Es ist also nur ... die zur Herstellung eines Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, welche seine Wertgröße bestimmt. ... Waren, worin gleich große Arbeitsmengen enthalten sind oder die in derselben Arbeitszeit hergestellt werden können, haben daher dieselbe Wertgröße.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 54.

    „Wir kennen jetzt die Substanz des (Tausch-)Werts. Es ist die Arbeit. Wir kennen sein Größenmaß. Es ist die Arbeitszeit.“ K. Marx, Kapital I, MEW 23, 55 Anm. 1.

    Aber dieses Größenmaß ist nicht die Arbeitszeit eines einzelnen Arbeiters oder eines einzelnen Produktionsbetriebes. Wertbestimmend ist auch nicht die Summe aller individuell eingesetzten Arbeitsstunden. Das Größenmaß aller Werte, die „Arbeitszeit“, ist die notwendige Arbeitszeit der ganzen Gesellschaft, die nicht nur abhängt von der Gesamtdauer der aufgewendeten Arbeitszeit, sondern auch der aktuellen Arbeitsproduktivität und der normalen Intensität der aufgewendeten Arbeit.


    Gruß Wal


    P.S. Dieser Unterschied zwischen wertbildend und wertbestimmend ist tatsächlich höchst "problematisch" und produzierte zwei gewichtige Strömungen innerhalb des Marxismus:
    Die eine Strömung, deren hervorragender Vertreter derzeit Michael Heinrich ist, stützt sich vollständig auf die gesamtgesellschaftliche Wertbestimmung und leugnet die Wertbildung während der Lohnarbeit. Nach ihrer Auffassung ist "Wert" etwas, das sich erst in der Zirkulation herausbildet.

    Die andere Strömung begann mit der Losung: "dem Arbeiter seinen ganzen Arbeitsertrag!" und mündete in die Preisbestimmung des Staatsssozialismus. Nach ihrer Auffassung ist Wertbildung und Wertbestimmung ein und dasselbe. Man könne deshalb die Werte und Preise der Waren auf der Ebene der Betriebe bestimmen und festsetzen. Die moderne Variante dieser Strömung ist der "Zettelsozialismus", der die Lohnarbeit nicht abschaffen will, aber mittels Zettelwirtschaft dem Lohnarbeiter seinen "gerechten Anteil" an dem von ihm produzierten Wert oder Produkt ausbezahlen will. Dazu habe ich mich unter anderem hier geäußert: Wert und Preis im Sozialismus.

  • Beim erstmaligen Lesen des Beitrags von Thomas Weiss konnte ich nicht erkennen, was an Marx´Aussage problematisch sein soll.

    Es wäre für mich hilfreich gewesen, wenn Thomas Weiss diese angebliche Problematik selbst erörtert hätte.


    Der Beitrag von Wal ist m.E. schlüssig, der Hinweis auf den möglichen Unterschied von "Wertbestimmung" und "Wertbildung" führt bei mir zu folgenden Überlegungen:


    Im obigen Zitat von Marx kommt der Begriff der "Wertbildung" gar nicht vor. Später spricht Marx von "Wertproduktion", was das Gleiche meinen kann.

    Marx definiert m.E. sehr präzise was er unter "Wertbestimmung" versteht, nämlich: "Die Substanz des Werts ist und bleibt nichts außer verausgabter Arbeitskraft...".

    Die Wertbestimmung zielt auf das Resultat verausgabter Arbeitskraft.


    Die Wertproduktion oder auch "Wertbildung" beschreibt den Prozess, der dann das fertige Resultat erzeugt.

    und die Wertproduktion ist nichts als derProzess dieser Verausgabung.


    Daraus folgere ich:

    Wertproduktion und Wertbestimmung sind zwei Seiten einer Medaille.



  • Beim erstmaligen Lesen des Beitrags von Thomas Weiss konnte ich nicht erkennen, was an Marx´Aussage problematisch sein soll.

    Es wäre für mich hilfreich gewesen, wenn Thomas Weiss diese angebliche Problematik selbst erörtert hätte.

    Hallo basal,

    Die Arbeitswertlehre von Marx wird im allgemeinen so verstanden, dass jede einzelne Ware nicht nur mit fertigem Gebrauchswert (praktischem Nutzen), sondern auch mit einem fertigen Quantum Wert aus dem Arbeitsprozess herauskommt. Dieser populären Vorstellung wird von Marx widersprochen, wenn er sagt: "nicht die Lohnarbeit (ist) wertbestimmend". Vielmehr gehen in die Wertbestimmung Verhältnisse ein, auf die weder die einzelnen Arbeiter, noch die Klasse der Arbeiter insgesamt Einfluss haben. An diesem Ort nennt Marx die Gesamtarbeitszeit und der Anteil der Gesamtarbeitszeit, der auf einzelne (Branchen) und Produkte fällt. In diesen Zusammenhang gehören auch die normale Intensität der Arbeit und die (durchschnittliche) Arbeitsproduktivität, die durchschnittliche Umlaufszeit und Umschlagszeit etc.
    Heißt: Die Wertgröße, die auf einzelne Waren(gruppen) entfällt, hängt keineswegs von der aufgewendeten Arbeitszeit einzelner Arbeiter oder einzelner Betriebe ab.

    Genau das ist aber die falsche Voraussetzung für alle Sozialisten, die mittels vorausberechneter Preise die Produktion steuern wollen.


    Marx definiert m.E. sehr präzise was er unter "Wertbestimmung" versteht, nämlich: "Die Substanz des Werts ist und bleibt nichts außer verausgabter Arbeitskraft...".

    Die Wertbestimmung zielt auf das Resultat verausgabter Arbeitskraft.

    Ganz wörtlich genommen, ist deine Wertbestimmung mindestens unvollständig, wenn nicht gar falsch.

    Nicht alle "verausgabte Arbeitskraft" (richtig: "Arbeitszeit"!) ist von vorneherein wertbildend. Gerade im Staatsssozialismus wurde viel Arbeitszeit verausgabt, die aber nicht "wertbildend" wirkte. Nämlich immer dann, wenn es Planänderungen gab, oder die Pläne in einzelnen Betrieben über- und untererfüllt wurden, so dass der gesamte Austausch der Vorprodukte und Produkte durcheinandergeriet. Oder ein Betrieb wartete auf seine Zulieferer - alles verschwendete Arbeitszeit.

    Auch im Kapitalismus ist alle eingesetzte Arbeitskraft und Arbeitszeit verschwendet, deren hergestellten Waren keinen Käufer finden. Auch diese eingesetzte Arbeitszeit geht nicht in die Wertbildung ein.


    Gruß Wal

  • Hallo Wal,


    Marx schreibt:

    "Die Substanz des Werts ist und bleibt nichts außer verausgabter Arbeitskraft..."


    Bei der Ware heißt "Bestimmung", dass das Produkt für den Verkauf vorgesehen ist.

    Mit anderen Worten: Es ist der Plan, dass das Produkt verkauft wird.

    Jetzt ist es ganz einfach so: Nicht jeder Plan lässt sich realisieren. Manchmal klappt es, manchmal nicht.


    Das ändert aber nichts an der ursprünglichen "Bestimmung".

    (Immer wieder ist es wichtig, den Unterschied zwischen Prozess und Resultat im Auge zu behalten: Das Resultat ist eben anders als während des Prozesses beabsichtigt.)


    Und deshalb bildet die verausgabte Arbeitskraft die Substanz des Werts.

    Oder: Die verausgabte Arbeitskraft bestimmt den Wert.


    VG,

    basal

  • Hallo Teilnehmer,

    mich würde interessieren, ob schon mal jd. versucht hat, Marx' Arbeitswertlehre mit dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz) zu untermauern oder zumindest in Verbindung zu bringen. Gibt es so einen Ansatz?

  • Auf die Problematik bin ich gestoßen bei der Frage, ob die Arbeit im Arbeiterhaushalt ebenfalls wertbildend ist. Besteht der Wert einer Ware aus acht Stunden Lohnarbeit (meine Meinung) oder muss die Arbeit zuhause, die die Waren Arbeitskraft produziert, ebenfalls als wertbildend gewertet werden. Ich würde sagen, diese Hausarbeit schafft Gebrauchswerte, aber keine (Tausch-)Werte. Der Wert der Arbeitskraft besteht aus dem Wert der gekauften Waren, nicht auch noch aus der zuhause verrichteten "Reproduktionsarbeit".

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