Wirtschaft und Gesellschaft der frühen Griechen

(Buchvorstellung)

 

 

 

Vom Gemeinschaftseigentum zum Privateigentum in Griechenland

Seit dem 6. oder 5. Jahrtausend war Ackerbau auf griechischem Boden verbreitet. Eine so komplexe und zeitlich ausgedehnte Kulturtechnik wie der Ackerbau bedurfte einer mehrjährigen „Ausbildungszeit“, und es ist schwer vorstellbar, wie anders als durch Wanderung von ackerbauenden Stämmen oder Gefolgschaften sich diese Technologie hätte ausbreiten können.

  

Wanderschaft war auch in den ersten Gesellschaftsformen der Sammler und Jäger wie der Hirten die erste und normale Lebensweise. Auf ihren Wanderzügen sammelten und weideten die Menschen ab, was sie vorfanden. (...)

Auf die Suche nach Nahrungsquellen begaben sich die Menschen nicht als Einzelwesen, sondern immer als Teil einer Horde. Die frühen Menschen lebten nicht als Individuen, sondern als Herdentiere. Die Größe solcher Horden pendelte sich bei der Anzahl ein, die in der jeweiligen natürlichen Umwelt am besten in der Lage war, das gemeinsame Überleben zu sichern. Ausgrabungen der frühesten menschlichen Siedlungen lassen auf Menschengruppen von höchstens 100 Personen schließen. Vor der Sesshaftigkeit muss man deutlich kleinere Horden vermuten.

Diese wandernden Horden und deren Schutzbündnisse mit anderen Horden schufen Gemein­samkeiten der Sprache, der Ethnie und der Sitten. In der griechischen Tradition lebten solche Gemeinschaften der Wanderzeit noch als Stämme (phyle) und Bruder- bzw. Gefolgschaften (phratrie) fort. Rechte, Sitten und Gebräuche hingen bei den frühen Griechen nicht vom Wohnsitz oder der familiären Abkunft ab, sondern von der Zugehörigkeit zu einem Stamm und einer Gefolgschaft. Die gewohnten Sitten, Ge­bräuche, Feier- und Festtage konnten ohne Schaden in eine ferne Koloniegründung mitgenommen und bewahrt werden, falls Mitglieder des eigenen Stammes oder der eigenen Phratrie dabei waren. ...

  

Landwirtschaftliche Arbeit der frühen Griechen

„Auch dazu aber, dass man sich gegenseitig einander beisteht, hilft die Landwirtschaft erziehen: denn wie man gegen die Feinde in Gemeinschaft mit anderen Menschen gehen muss, so ist auch die Bearbeitung der Erde nur im Verein mit anderen Menschen möglich.“ (Xenophon, Oikonomikos 5) Die gemeinsame Bearbeitung der Erde konnte in prähistorischer Zeit nur so organisiert sein, dass alle Arbeiten gemeinsam und zur gleichen Zeit erledigt wurden. Gemeinsam wurden die Felder gerodet, gemeinsam wurde gehackt, gemeinsam gesät und gemeinsam geerntet. Die ältesten Ackerbausiedlungen, die wir kennen, besaßen nur einen einzigen Vorratsspeicher für alle. (...)

Die Griechen gingen einen anderen Weg der Arbeitsorganisation. Seit wir schriftliche Nachricht über die Griechen haben, war der Ackerboden auf Familien aufgeteilt. Ausgrabungen der griechischen Kolonie Metapontion in Unteritalien zeigen durch Kanäle getrennte Ackerlose in der Küstenebene von Metapontion. Nicht in allen Siedlungsgebieten waren die natürlichen Voraussetzungen für eine gleichmäßige Aufteilung des Bodens gegeben. Aber Aufteilung des Bodens in gleiche oder ähnliche Losgrößen, die von einer Familie bewirtschaftet werden, war der Normalfall in alten griechischen Siedlungen. (...)

 

 

Bis zur Zeit des Hesiod wurde von dem Besitztum eines Bauernhaushaltes außerhalb des Hofes nur Tongeschirr und Eisengerät gefertigt. Griechisch „oikonomia“ („Ökonomie“) hieß die Hausverwaltung oder die Haus­wirt­schaft.

Der eigene Bedarf wurde vorwiegend in Subsistenzwirtschaft durch eigene Arbeit im eigenen Haushalt geschaffen und verwaltet. Jeder Bauernhaushalt war eine „Ökono­mie“ für sich. Das schuf den Boden für die spätere Vielfalt des griechischen Lebens.

 

Erste Arbeitsteilung zwischen Bauern und Handwerkern in Griechenland

Handwerker konsumieren jeden Tag vor, während und nach ihrer Tätigkeit Lebensmittel, die sie nicht selbst produzieren. Selbstständiges Handwerk konnte bei den frühen Griechen nur dort und nur so weit entstehen, als die bäuerlichen Produzenten in der Lage und willens waren, ihre Überschussproduktion an Lebensmitteln mit diesen nichtbäuerlichen Produzenten zu teilen. Die ersten Handwerker mussten den damaligen Bauern nützlich und dienlich sein, sonst fanden sie nicht Beschäftigung und Brot. (...)

 

 

Für die frühen Griechen gehörte alle spezialisierte Arbeit außerhalb der Landwirtschaft zum Dienstleistungsbereich. Sie fassten auch später alle diese Spezialisten, vom Arzt und Architekten über den Sänger bis zum Schuhmacher oder Töpfer – ohne Rücksicht darauf, ob es sich um mehr geistige oder mehr körperliche Arbeit handelte,– unter den Begriff „Demiurgos“. Demiurgos lässt sich vielleicht am treffendsten als „für die Gemeinschaft Tätiger“ oder als „Dienstleister“ wiedergeben. Ursprünglich waren diese Dienstleister wohl auch von der Gemeinschaft bestellt und entlohnt worden, nicht von einzelnen Bauern. (...)

Selbstorganisation und Staatsorganisation im frühen Griechenland

In der „Beschreibung Griechenlands“ von Pausanias aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. heißt es: „Überall in Griechenland gab es vor alters Königsherrschaften und nicht Demokratien.“ (Pausanias 9, 1,1) Darin steckt ein doppelter Irrtum:

Erstens wird vorausgesetzt, dass es bei den Griechen eine institutionelle Herrschafts­aus­übung, also einen Staatsapparat, schon immer gegeben habe. Der Staatsapparat hat nach dieser Vorstellung keine Entstehung und keine Geschichte und was sich wandelte, seien nur Staatsformen.

Bei dieser Wandlung der Staatsformen wird dann zweitens unterstellt, dass die Staats­gewalt in Griechenland eine allmähliche Schwächung durchgemacht habe von einer starken, zentralen Königsgewalt zur abgeschwächten, dezentralen Machtausübung der Demokratie.

Eine differenziertere Sicht als Pausanias hinterließ uns Aristoteles, der rund 400 Jahre nach Homer und 400 Jahre vor Pausanias lebte. Aristoteles schrieb: „So gibt es denn von dem Königtum diese Arten, vier an der Zahl, das eine das Königtum der Heroenzeit– es bestand mit dem Willen des Volkes, war aber auf bestimmte Rechte beschränkt; der König war Feldherr, Richter und Leiter der Kultushandlungen –, das zweite das Königtum bei den Barbaren – es ist eine erbliche, auf Gesetz beruhende despotische Herrschaft –, das dritte die sogenannte Äsymnetie – es ist eine auf Wahl beruhende Tyrannis– und endlich das vierte von ihnen das lazedämonische Königtum, das, kurz gesagt, ein lebenslängliches, erbliches Feldherrenamt ist. Diese Königtümer sind also auf diese Weise voneinander verschieden, eine fünfte Art des Königtums aber ist da gegeben, wo eine einzelne Person so Herr über alles ist, ... dass hier die Regierung nach Art der Hausverwaltung geordnet ist.“ (Aristoteles, Politik 1285b, 20–30)

Nur diese letzte, fünfte Art des Königtums, bei der ein König als Obereigentümer über seine Untertanen fast wie ein Hausherr über seinen Haushalt herrscht, entspricht dem Königtum, das unser Sprachgebrauch als „Monarchie“ kennt. In der Welt Homers hat es solche Monarchen nicht gegeben. (...)

 Kein Basileus entschied wichtige Fragen allein und ohne Beratung. Von dem Basileus Agamemnon heißt es: „Haben aber viele sich versammelt, wirst du dem folgen, wer immer den besten Rat zu raten weiß.“ (Ilias 9, 73 ff.)

Es gab in der frühen Zeit zwei Arten von Versammlungen: erstens die beratende Versammlung (boule) aller Haushaltsvorstände, daraus entwickelte sich später der Ältestenrat, und zweitens die beschließende Versammlung aller waffenfähigen Männer, die Versammlung (agora) des Volkes (demos).

„Volk“ waren in erster Linie alle waffenfähigen Männer, die gemeinsam in den Krieg zogen, dann auch alle männlichen Erwachsenen, die ein gemeinsames Gebiet mit einem Dorf oder einer Stadt als Mittelpunkt bewohnten. (...)

 Aus den Gemeinschaftsaufgaben jenseits eines Haushalts oder Gutshofes erwuchsen Leitungsfunktionen der frühen Griechen in Krieg und Frieden. Diese frühen Leitungsämter „bestanden mit dem Willen des Volkes“ (Aristoteles, Politik 1285b). Die Inhaber dieser Ämter hatten keine Befehlsgewalt über das Volk und keine institutionelle Macht über die Gesellschaft.

Nur allmählich setzte sich eine feste Führungsschicht vom Volk ab, indem sie Leitungsämter monopolisierte und aus der direkten Einflussnahme des Volkes löste. Der erste Schritt in dieser Entwicklung war der Versuch, Leitungsämter erblich zu machen. Die Erblichkeit von Leitungsämtern widersprach dem fließenden, institutionslosen Führungsstil der frühen Zeit und musste zu Zeiten Homers schon eine zentrale Fragestellung der Verfassungswirklichkeit gewesen sein. Die Frage der Amtsnachfolge für den vermeintlich toten Odysseus lieferte ihm den erzählerischen Spannungsbogen während der Irrfahrten des Odysseus. (...)

Die griechische Demokratie basierte auf dem Eingeständnis und der Einsicht, dass die Gesellschaft ihre öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr selbst und direkt verwalten konnte. Deshalb mussten – anders als in der Frühzeit – die öffentlichen Leitungsaufgaben an ein spezialisiertes und privilegiertes Politikerpersonal übergeben werden. Formen der direkten Demokratie wie Volksversammlung und Volksentscheid sowie Begrenzungen der Amtsmacht durch Loswahl, Ämterrotation etc. bewahrten andererseits Elemente der Selbstorganisation der Frühzeit.

Als ein Zerfalls- und Endprodukt der heroischen Zeit war die griechische Demokratie aber nicht von langer Dauer. Die Blütezeit der athenischen Demokratie dauerte keine hundert Jahre.

 

Herausbildung der griechischen Stadt (Polis)

Sparsamer Umgang mit wertvollem Ackerland und gegenseitiger militärischer Schutz der Polisbürger vor Feinden waren entscheidende Aspekte bei der Entstehung oder Gründung von Städten. Der bewusste oder unbewusste Verzicht auf verstreute und vereinzelte Siedlungsweise vermied größere Übel. Das Zusammenleben auf engstem Raum muss für die griechischen Stadtgründer und für die Stadbürger jedoch auch spürbar positive Wirkungen gehabt haben, sonst hätte sich dieses Modell des Zusammenlebens nicht so rasch und so weitgehend im griechischen und phönizischen Lebensraum durchgesetzt.

Dem Gründungsmythos von Athen genügte als Motiv der Stadtgründung, dass es durch Zusammenziehen leichter wurde, eine gemeinsame Willensbildung und gemein­same Beschlüsse herbeizuführen. Theseus „schloss die Bewohner Attikas zu einem Staat zusammen und macht zu einer Bürgerschaft einer Gemeinde Menschen, die bis dahin verstreut lebten und schwer zur Beratung über das allgemeine Wohl zusammenzuberufen waren“ (Plutarch, Theseus).

Das Zusammenleben in der Polis schuf eine Plattform für die gemeinsame Willensbildung und Entscheidungsfindung über das allgemeine Wohl ihrer Bürger. In den griechischen Städten nahm die Agora, der Versammlungsplatz für politische Entscheidungen, religiöse Feste und sportliche Veranstaltungen, von Anfang an einen zentralen Platz ein.

Das griechische Heerlager vor Troja, wie es in der Ilias des Homer beschrieben wird, besaß alle wesentlichen Merkmale einer griechischen Polis: gedrängtes Zusammenwohnen hinter einem Schutzwall, ein Versammlungsplatz für Feste, Gerichtsversammlungen und gemeinsame Entschlüsse sowie Altäre unter freiem Himmel für Opfer und ein gemeinsamer Begräbnisplatz für die Toten.

Die Ilias von Homer lässt sich daher als (idealisierte) Beschreibung einer frühen griechischen Polis lesen. Umgekehrt gilt: Jede griechische Polis war ein Heerlager bewaffneter Bürger in einer prinzipiell feindlichen Umgebung – in der griechischen Heimat, aber noch mehr in den Kolonien. Vergleiche dazu das folgende Kapitel über die griechische Kolonisation.

 

 

Nur selten hatte eine griechische Stadt mehr als 5.000 männliche Bürger. Ausgrabun­gen bei Smyrna zeigen vor 850 v. Chr. eine Ummauerung der Siedlung mit Platz für 400 bis 500 Häuser, deren Lehmziegelwände auf Steinfundamenten ruhten. Dort lebten also rund 2.000 Menschen. Dennoch wäre es grundfalsch, die griechischen Polissiedlungen „dörflich“ zu nennen. Diese Ansiedlungen hatten die höchste Bevölkerungsdichte der ägäischen Welt.

Jede griechische Polis war ein weitgehend selbstverwaltetes Lebenszentrum mit einem gesellschaftlichen Willen und einem gemeinschaftlichen Nutzen. ...

Auf einer untersten Armutsstufe war das Zusammenziehen und Zusammensiedeln ein Gebot der wirtschaftlichen und militärischen Not. Mit Entwicklung der Arbeitsteilung, mit der Ausbreitung von Handwerk und Handel wurde das Zusammenwohnen in der griechischen Polis zunehmend zu einem produktiven Vorteil. Erst im Laufe der Zeit und mit dem nun wachsenden Wohlstand bekam das Zusammenleben in den griechischen Städten einen luxuriösen Glanz. Erst seit dem 6. Jahrhundert vor Chr. schmückten steinerne Versammlungshäuser, Tempel und Verwaltungsbauten, prächtige Sportplätze und Theater eine erfolgreiche Polis. ....

Die griechischen Städte waren nicht um eines luxuriösen Lebens willen gegründet worden. Aber jede griechische Stadt schuf ein soziales, wirtschaftliches und politisches Fundament, das ein zunehmend luxuriöses Leben für viele Bürger möglich machte. ...

Ein Leben als (männlicher) Bürger in einer der rund 700 griechischen Poleis war das Beste, was Menschen damals widerfahren konnte. In den Anfängen der Polis, solange die Zahl der Sklaven noch unbedeutend blieb, ermöglichte die griechische Polis – unter Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Leben – für fast die Hälfte ihrer Bevölkerung ein mehr oder minder selbstbestimmtes Leben. Es war für männliche Polisbürger ein weitgehend selbstbestimmtes Leben, weil sie nicht nur über ihre kleinen Privatverhältnisse auf ihrem Landgut selbst entscheiden konnten, sondern auch über die politischen Rahmenbedingungen, die ihre privaten Verhältnisse beeinflussten und dominierten, mitreden und mitregieren konnten.

Ich denke, einen solchen Prozentsatz selbstbestimmter Lebensweise, bei dem fast 50 Prozent der Bürger an allen öffentlichen Entscheidungen beteiligt waren, hat die Menschheit bis heute an keinem Ort der Erde wieder erreicht.

  

Die griechische Kolonisation

Der Siedlungsraum der frühen Griechen umfasste keine geschlossene Siedlungsfläche, sondern viele einzelne Siedlungspunkte mit selbstständigen kleinen Städten rund um das Mittelmeer, was Platon mit der Lebensweise von Fröschen verglich: „Wir wohnen nur in einem kleinen Teil der Erde von Phasis (an der Ostküste des Schwarzen Meeres) bis zu den Säulen des Herakles (Straße von Gibraltar), rings um das Meer, so wie Ameisen oder Frösche um einen Tümpel herum.“ (Platon, Phaidon 109b)

Das entsprach ganz der Siedlungsweise der Phönizier, deren Städte ausgehend von Tyros und Sidon wie eine Perlenkette entlang der nordafrikanischen Küste bis nach Spanien reichten. Griechen wie Phönizier siedelten an Küsten, auf vorgelagerten Halb­in­seln oder auf Inseln. Ihrer beider Expansion ging von Seefahrern aus, nicht von Er­obe­rungen eines Landheeres.

 

 

Es lassen sich zwei griechische Kolonisationsbewegungen ausmachen, eine ältere in Richtung Osten und Nordosten und eine jüngere in Richtung Westen. Diese Reihenfolge spiegelt sich auch in den Epen Homers wider: Die ältere Ilias ist nach Osten gerichtet, die spätere Odyssee nach Westen. ...

 Das Mittelmeer wurde durch die griechische Expansion mit einem Netz von Siedlungen überzogen, was den Seeverkehr untereinander förderte und Zwischenstationen schuf für die Beschiffung des gesamten Mittelmeeres. Die Griechen konnten im Seehandel in Konkurrenz mit den Phöniziern eine immer wichtigere Rolle spielen. In vieler Hinsicht schuf die griechische Kolonisation erst die Grundlage des wirtschaftlichen und kulturellen Aufstiegs der Griechen. ...

 

Wie entstand Handel in Griechenland?

Es ist einsichtig, dass jede Form von Handel als geplanter und wiederholter Produktentausch an dauersesshafte Lebensweise und Ackerbau gebunden ist. Was Nomadenstämmen vor dem 7. Jahrtausend auf ihren Wanderungen an fremden Produkten in die Hände fiel, war von zu vielen Zufällen abhängig, als dass es in ihre Lebensplanung hätte eingehen können. (...)

Gold und auch Silber wurden verstreut und in reiner Form überall in der Welt gefunden. Der Gebrauch von Gold und Silber begründete also noch keinen Handel. Spätestens jedoch mit Herausbildung der Bronzekulturen im 3. Jahrtausend v. Chr. mussten Kupfer und Zinn, die nur an relativ wenigen Orten gefunden wurden, zunehmend aus der Ferne beschafft werden. Das Zinn wurde vermutlich seit dem 2. Jahrtausend aus Britannien in den Orient gebracht. Die Hochkulturen der Bronzezeit entwickelten Fern- und Außenhandel mit metallischem Rohstoff.

Anders als Zinn oder Kupfer fanden sich Eisenlager im letzten Jahrtausend vor Chr. überall in Griechenland verstreut. In gewisser Weise war Eisen die Technologie der „Habenichtse“ in den Randzonen der orientalischen Hochkulturen.
Nicht das Eisen als Rohstoff, wohl aber die Eisentechnologie als Know-how musste nach Griechenland gebracht werden. (...)

 Produktion über den Tagesbedarf hinaus und die folgende Vorratshaltung war der er­ste Besitz von Menschengruppen und später von Menschenindividuen. Aber Tauschhandel zwischen den Besitzenden ist keineswegs die älteste und erste Form der Güterübertragung. Tauschhandel begann keineswegs mit Vorratshaltung. Vor dem Tauschhandel hat es längst Besitzübertragungen durch Raub bei Feinden und durch Geschenke unter Freunden gegeben. Aus dem Raub als zwangsweiser und dem Geschenk als freiwilliger Übertragung von Besitz hat sich der Tauschhandel erst allmählich entwickelt. Obwohl Raub und Geschenketausch ganz gegensätzlich scheinen, hatten sie doch wichtige Gemeinsamkeiten:

Raub und Geschenketausch waren nicht an eine sesshafte Lebensweise gebunden. Sie waren möglich bei zufälligen und einmaligen Zusammentreffen zwischen Gruppen von Fremden. Handel setzt immer Regelmäßigkeit des Güteraustauschs und Bekanntheit der Handelspartner voraus.

Raub und Geschenketausch basierten nicht auf einem „gerechten“ Tausch von gleichen Werten. Man raubte, was man fand, und man schenkte, was man hatte.

Für eine Raub- und Geschenkekultur existieren historische und völkerkundliche Belege, die in der Regel auf frühe Wirtschafts- und Gesellschaftsformen verweisen, die noch auf Subsistenz ausgerichtet waren. (...)

 

Liest man die nebenstehende Grafik über die Entwicklungsformen des Handels von links nach rechts und von oben nach unten, so lässt sich die wahrscheinliche Entwicklung des Handels im griechischen Kulturkreis mit ihren wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen verfolgen.

Jede Säule steht für eine eigene Form der Besitzübertragung. Die linksstehenden Säulen repräsentieren eine frühere, die rechtsstehenden Säulen eine spätere Besitz­übertragung. Die Bausteine jeder Säule geben darüber Auskunft, inwieweit die ökonomischen Kriterien eines freiwilligen und individuellen Austauschs von gleichwertigen Waren zutrafen. Folgende meiner Thesen werden in der Grafik verdeutlicht:

Der Besitzwechsel der Güter entwickelte sich von der Ungleichwertigkeit (Raub, Tribut, Geschenk – obere Bausteine) in Richtung Gleichwertigkeit und Äquivalententausch (stummer Tausch, Fernhandel, Markthandel – rechte Seite, obere Bausteine).

Der Besitzwechsel der Güter entwickelte sich von der Unfreiwilligkeit und Einseitigkeit (Raub, Tribut – mittlere Bausteine) in Richtung Freiwilligkeit und Beidseitigkeit (Geschenk, Tausch, Handel – mittlere Bausteine).

Der Besitzwechsel der Güter entwickelte sich von der gemeinsamen Aktion einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft (Raub, Tribut, stummer Tausch – Nein-Baustein) zur Interaktion von Individuen (Markthandel – Ja-Baustein).

Der Besitzwechsel der Güter entwickelte sich von der Einmaligkeit (Raub – unterster Baustein) über Mehrmaligkeit (Tribut) in Richtung Regelmäßigkeit (Markt- und Fernhandel – unterster Baustein).

In diesem Entwicklungsprozess des griechischen Handels verschwanden ältere Formen der Besitzübertragung (Raub, Tribut, Geschenk) nicht völlig. Sie traten aber mengen- und wertmäßig zurück und wurden schließlich moralisch geächtet.

Die Wirtschafts- und Lebensweise der großen Masse der freien Bevölkerung im Umland der griechischen Städte blieb jedoch auch in klassischer Zeit auf Selbstversorgung und nicht auf Warenaustausch ausgerichtet. Die sich entfaltende Waren- und Geldwirtschaft muss die Selbstversorgungswirtschaft der kleinen Bauern immer schwieriger und prekärer gestaltet haben.

 Soweit die Griechen aus dem rückständigen Norden oder Westen Sklaven, Metalle und andere Rohstoffe in den hochentwickelten Osten schifften, leisteten sie damit Transportarbeit, die sich beim Handel mit Tyros und anderen Handelsstätten bezahlt machte. Sie konnten bei diesem Handel ein doppeltes Preisgefälle ausnutzen: Rohstoffe waren im Westen und Nordosten reichlich vorhanden und damit relativ billig. Diese Rohstoffe wurden in den Hochkulturen des Ostens zur Verarbeitung nachgefragt und müssen daher gute Preise erzielt haben. Ebenso muss es ein Preisgefälle bei den Fertig- und Luxuswaren zwischen West und Ost gegeben haben. Handwerksprodukte waren am Herstellungsort relativ preiswert. Für sie wurden überall dort, wo solche Produkte nicht hergestellt werden konnten, exorbitante Preise bezahlt.

 

 

Ein Gebiet, das Waren liefert, liefert in jedem Fall Waren, deren Herstellungswert geringer ist, als der Herstellungswert der Waren, die es empfängt, auch und gerade wenn auf jedem Marktplatz gleiche Wer­te getauscht werden. Jede Transport- und Lager­arbeit setzt den jeweiligen Waren Wert zu und bewirkt einen gleichwertigen Tausch von zum Zeitpunkt der Produktion ungleichwertigen Waren. Wie das geschieht, das verdeutlicht die nebenstehende Grafik.

Auf dem Schiffssegel ist von links nach rechts die Wertzusammensetzung einer griechischen Fracht dargestellt.

Der Einkaufs- oder Produktionswert der Fracht plus die anteiligen Schiffskosten für die Hinfahrt ergab den vorgeschossenen Wert der Fracht. Dazu war der Wert der Verlade- und der Transportarbeit auf See zu rechnen. Beide Werte zusammen summierten sich zum Verkaufswert der Hinfracht auf dem Verkaufsplatz im fremden Hafen.

Beim Austausch gleicher Werte entsprach der Verkaufswert der Hinfracht dem Einkaufswert der Rückfracht.

Zum Einkaufswert der Rückfracht waren die anteiligen Schiffskosten der Rückfahrt, der Wert der Verladearbeit und der Transportarbeit auf See hinzuzurechnen. Die Summe dieser Größen bildeten den Verkaufswert der Rückfracht.

Daraus ergibt sich: Wie immer diese Größen im Einzelnen in der griechischen Antike zusammengesetzt waren, der Einkaufswert der Hinfracht war immer geringer als ihr Marktwert beim Eintausch der Rückfracht. Und der Verkaufswert der Rückfracht war um etliches größer als der Einkaufswert der Hinfracht.

 

Sklavenwirtschaft der Griechen

Es ist ein Vorurteil, dass es immer und überall im alten Griechenland Sklaverei gegeben hätte. Es ist vielmehr ökonomisch naheliegend wie durch die Quellen ausreichend belegt, dass die Griechen zunächst ohne männliche Produktionssklaven wirtschafteten. Und erst mit männlichen Sklaven wurde zur Anhäufung von Reichtum produziert. (...)

Wenn Sklaven als „sprechende Sache“ bestimmt sind, die einem anderen gehört, so ist über die wirtschaftliche Verwendung und Funktion dieser Sache durch ihren Herrn noch nichts gesagt. Als Sache können Sklaven sowohl ein Spielzeug als auch ein Werkzeug sein, ein Luxusgegenstand oder ein Produktionsmittel. (...)

Unproduktive und produktive Sklaverei

Spielzeug und Luxusgegenstand waren alle Sklavinnen und Sklaven, die für die private Lust und persönliche Bedienung ihres Herrn arbeiteten. Sie vermehrten nicht den Reichtum ihres Besitzers, sondern verzehrten ihn. Sie waren zusätzliche Mäuler, die gestopft, zusätzliche Körper, die bekleidet werden mussten, ohne dass sie zur Vermehrung des Lebensnotwendigen beitrugen. Sie schufen für ihren Herrn keinen Reichtum, sondern allenfalls Bequemlichkeit.

Solche Luxussklaverei entwickelte sich überall schnell, wo sich Reichtum konzen­trierte. Sie entwickelte sich auch bald überall in Griechenland, wo Reichtümer angesammelt wurden wie in Korinth. Aber unproduktive Luxussklavinnen und -sklaven waren das Resultat und die Begleiterscheinung von Reichtum, nicht eine Quelle von Reichtum.

Hatten diese Dienstleistungssklaven ihre Herrinnen und Herren „bedient“, dann lag ihre Arbeitskraft brach und wurde nicht gebraucht und nicht verwendet. Solche Dienstleistungssklaven sind ökonomisch vergleichbar mit Hausdienern des 19. Jahrhunderts oder Hausangestellten der heutigen Zeit: Sie zehren als unproduktive Arbeiter am Vermögen derjenigen, die sie beschäftigen. Sie schaffen für ihre Herrschaft Bequemlichkeit und freie Zeit, vermehren aber nicht deren Besitz.

Ganz anders produktive Sklaven, die in der Landwirtschaft, im Handwerk, im Trans­portwesen und in Bergwerken eingesetzt wurden: deren Arbeit war produktiv und vermehrte den Besitz ihrer Herren. Alles, was diese produktiven Sklaven über ihren eigenen Lebensunterhalt hinaus produzierten, fiel als kostenloses Eigentum an ihre Herren und vergrößerte deren Reichtum. Diese produktive Sklaverei war bei den frühen Griechen nicht in Gebrauch.

Die eindeutige griechische Bezeichnung für Sklave war „doulos“. Homer gebrauch­te dieses Wort nur ein einziges Mal für eine Frau (doulae). (...)

Allerdings war auch die homerische Gesellschaft schon so weit differenziert, dass es Reiche und Arme gab, Führer und Gefolge, freie und halbfreie Arbeit in verschiedenen Abhängigkeitsstufen, die teils altersmäßig, teils geschlechtsmäßig, teils verwandtschaftlich bedingt waren.

Solche Abhängigkeiten, wie sie Homer oder Hesiod als oiketes, therapon, pais oder padarion aufführen, waren jedoch nicht unbedingt von Dauer. Sie waren zeitlich durch freie Vereinbarung oder durch Erwachsenwerden begrenzt. Damit waren diese wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse klar von Sklaverei unterschieden.

­Erst die Produktion für den riesigen mittelmeerweiten Markt statt für den Eigenbedarf schuf den Ansporn zur Ausbeutung von Produktionssklaven. Solange Bedarfsproduktion vorherrschte, konnte Produktionssklaverei kaum eine Rolle spielen. (...)

 Der zunehmende Güteraustausch zwischen den rund 700 griechischen Städten im Mittelmeerraum und den vielen weiteren außergriechischen Siedlungen und Wirtschaftsräumen schuf also sowohl die Möglichkeit als auch den Ansporn zur Warenproduktion und zur Steigerung der Warenproduktion. Als Resultat der griechischen Kolonisation entstand der Ansporn zu weiterer Produktionsausweitung. Aber woher sollte diese zusätzliche Produktionsleistung kommen?

Extensive Reichtungsproduktion

Bei gegebener Arbeitsproduktivität und gegebener technischer Ausstattung war eine Steigerung der handwerklichen und landwirtschaftlichen Produktion allein durch Zufuhr neuer Arbeitskräfte möglich. Für diese Zufuhr standen jedoch kaum freie Arbeiter zur Verfügung.

Es gab zwar durchaus freie Griechen, die sich für Lohn verdingen mussten, aber das waren Saison- und Gelegenheitsarbeiter, die sich nur so weit verdingten, wie sie das nötig hatten. Endete ihr Arbeitsverhältnis, dann endete auch ihre Arbeitsleistung. Zusätzliche Schranken für die Nutzung freier Arbeiter schufen der häufige Kriegsdienst, der viele solcher „kleinen“ Leute absorbierte, sowie eine Vielzahl von Feier- und Festtagen. Eine vermehrte Reichtumsproduktion machte die Vermehrung der Arbeitskräfte nötig.

Sklaven zur Bedienung im Haushalt, im weitesten Sinne „Dienstleistungssklaven“, hatte es längst gegeben. Nun setzten die Griechen auch dort Zwangsarbeiter, sprich Sklaven ein, wo sie an der Steigerung der Produktion für den Markt, das heißt an der Steigerung des Reichtums interessiert waren. Die jetzt zunehmende männliche Produktionssklaverei war auf ein wachsendes Mehrprodukt, das heißt auf wachsende Reichtumsproduktion ausgerichtet.

Intensive Reichtumsproduktion

Extensives Wachstum des individuellen und gesellschaftlichen Reichtums war mit freien Arbeitern in der Antike kaum möglich. Noch weniger war mit freien Arbeitern ein intensives Wachstum der Produktion möglich.

Intensives Wachstum stammt bei gleichbleibender Arbeiterzahl aus der Verlängerung der Arbeitszeit, Senkung der Lebenshaltungskosten der Arbeitskraft und Aus- und Fortbildung der Arbeitskräfte zur Steigerung der Produktivität.

Eine Verlängerung der Arbeitszeit war bei freien Arbeitern mit Werkvertrag so gut wie ausgeschlossen. War das vereinbarte Arbeitsprodukt geschaffen, dann war der Arbeitsvertrag beendet und der Tagelöhner ging nach Hause. Sein Auftraggeber hatte keine Verfügung über die brach liegenden Arbeitspotenziale dieses Arbeiters. Anders bei Sklaven. Ihre gesamte Lebens- und Arbeitskraft stand unter dem Kommando des Sklavenbesitzers. Es war seinem Kalkül und seinem Geschick überlassen, ob er den Sklaven schon in wenigen Monaten oder erst nach Jahren zu Tode schindete. Vor allem in der Bergwerksarbeit war die Lebensdauer der eingesetzten Sklaven so kurz, dass antike Autoren ihr Mitleid mit ihnen nicht verbargen. (...)

 Allerdings wäre es falsch zu sagen, dass die gesamte Arbeitszeit des Sklaven für die Reichtumsproduktion des Sklavenbesitzers zur Verfügung stand. Eine bestimmte Zeit des Arbeitstages arbeiteten die Sklaven für ihren eigenen Lebensunterhalt. Sie mussten essen, wohnen und bekleidet werden. Soweit ihr Lebensunterhalt also dem Sklavenbesitzer Kosten machten, war das ein Abzug von der Gesamtarbeitsleistung des Sklaven.

Diese Zeit des Arbeitstages, in der der Sklave den Gegenwert seines Lebensunterhalt herstellte, kann „notwendige Arbeitszeit“ genannt werden. Sie war notwendig für den Erhalt des Sklaven. Diese notwendige Arbeitszeit war die Arbeitszeit, die auch ein selbstarbeitender Bauer oder Handwerker für seinen Lebensunterhalt arbeiten musste. Ein Handwerker oder Bauer konnte nach dieser Zeitperiode die Arbeit niederlegen, diese Entscheidungsfreiheit hatte ein Sklave nicht.

Der Arbeitstag des Sklaven muss also ökonomisch aufgeteilt werden in einen Zeitanteil, in dem der Sklave seine Kosten ersetzt (das war die für seinen Lebensunterhalt notwendige Arbeitszeit) und in einen Zeitanteil, in dem er Reichtum akkumuliert für seine Besitzer (sogenannte Mehrarbeitszeit).

Allerdings akkumulierte ein Sklave in seiner Mehrarbeitszeit nicht für einen einzigen Besitzer. Der Sklave war zu einem gewissen Preis gekauft worden. Der Einkaufswert musste vom Sklaven erst einmal abgearbeitet werden, bevor seine Arbeit für den neuen Besitzer Reichtum schuf. Je nach Kaufpreis konnte das Jahre dauern. Der Einkaufspreis eines Sklaven war ein Abzug vom Gewinn des neuen Herrn und ging als Wert an den Vorbesitzer des Sklaven.

Nur was die Sklaven über ihren Einkaufspreis plus ihren eigenen Lebensunterhalt hinaus erarbeiteten, war der Gewinnzuwachs des neuen Herren.

Bevor Sklavenbesitzer ihren Reichtum durch Sklavenarbeit vermehren konnten, hatten schon Sklavenbesitzer ihren Reichtum durch den Sklavenhandel vermehrt. Die Griechen verdienten als Sklavenbesitzer am Sklavenhandel, bevor sie selbst produktive Sklavenarbeit ausbeuteten.

Da ein gekaufter Sklave seinen Kaufpreis erst amortisieren musste, konnte es also vorkommen und musste es vorkommen, dass ein Sklave seinem neu­en Herrn nicht das einbrachte, was der Kaufpreis versprochen hatte.

Der Sklave war vielleicht teuer eingekauft worden und war nicht so kräftig, so geschickt, so fleißig, so gesund, dass er seinen Kaufpreis amortisieren und darüber hinaus Reichtum für seinen Herrn akkumulieren konnte. In diesem Fall machte der neue Besitzer mit seinem Sklaven sogar Verlust. Er musste sehen, ihn wieder loszuwerden. Nicht anders war die Situation für alte und kranke Sklaven. Sie brachten ihren Herren zunehmend weniger ein. Viele Besitzer von unrentablen, alten oder kranken Sklaven werden versucht haben, solche Sklaven loszuwerden, sie um jeden Preis loszuschlagen.

In der griechischen Komödie traten Sklaven nur als hässliche Alte auf, als nutzlose und dumme Geschöpfe.

Die je nach den individuellen Eigenschaften des Sklaven schwankende Rentabilität der Sklavenarbeit musste zu einer ständigen Fluktuation auf dem Sklavenmarkt führen, sodass zunehmend auch ärmere Griechen sich einen Sklaven billig erwerben konnten, so wie sich heutzutage auch niedrige Einkommensbezieher für wenig Geld ein gebrauchtes Auto kaufen können. Ob sie sich dann auch den Unterhalt der klapprigen Mühle leisten können, ist eine andere Frage. Ähnlich wie heute die Zahl der Autos konnte damals die Zahl der Sklaven ständig zunehmen, ohne dass sich der wirtschaftliche Gewinn aus der Sklavenarbeit auf alle gleichmäßig verteilt hätte.

 Soziale Differenzierung durch Sklavenarbeit

Die produktive Verwendung von Sklavenarbeit wurde in den griechischen Stadtgemeinden seit 600 v. Chr. zum Alltag. Aber die Verwendung von Sklaven und der Nutzen durch Sklavenarbeit waren nicht gleichmäßig verteilt und konnten es nicht sein. Junge, kräftige Sklaven mit produktiven Fähigkeiten waren teuer. Nur alte, verbrauchte Sklavinnen und Sklaven waren preiswert. Wer höhere Summen in produktive Sklaven investieren konnte, konnte auch höhere Summen an ihnen verdienen.

Die Reichtumsproduktion der Sklaven wurde zum Sprengmittel, das die frühere Homogenität der Polisgesellschaft zerstörte, indem es die soziale Differenzierung in Arm und Reich vorantrieb.  Das soll anhand des folgenden Modells anschaulich gemacht werden.

Das Modell hat keine absoluten Größen nötig. Angenommen wird dabei ein gewisses Verhältnis der notwendigen Arbeitszeit der Gesellschaft (Arbeit zur eigenen Reproduktion) zur Mehrarbeit (Arbeit zur Überschussproduktion = Anhäufung von Reichtum). Vorausgesetzt wird damit auch ein gewisses Verhältnis der notwendigen Arbeitszeit zur Gesamtarbeitszeit, der Summe aus notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeitszeit. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass mit dem Steigen oder Sinken der Arbeitsproduktivität dieses Verhältnis sich ändert. Je niedriger die Arbeitsproduktivität ist, desto größer ist im Verhältnis die notwendige Arbeit zur Mehrarbeits- oder Gesamtarbeitszeit der Gesellschaft.

Als Anhaltspunkt für das Verhältnis von notwendiger Arbeit zur Mehrarbeit bei den Griechen stütze ich mich auf eine Inschrift aus dem Jahr 329/328 v. Chr., auf der das Getreide­opfer aus Attika an das Heiligtum von Eleusis verzeichnet ist. Von diesem Opfer machte Gerste elf Zwölftel, Weizen ein Zwölftel aus. Gerste war aber das Grundnahrungsmittel des Volkes, Weizen ein Luxusnahrungsmittel der Wohlhabenden. Man kann aus diesem Verhältnis auf das ungefähre Größenverhältnis des damaligen gesellschaftlichen Überflusses zum Lebensnotwendigen in Attika schließen.

Ich nehme daher ein Verhältnis von 1 zu 12 als Größenverhältnis des damaligen Mehrprodukts (= gesellschaftliches Überschussprodukt über das Lebensnotwendige) zur Gesamtarbeit. In Arbeitszeit gerechnet hieße das, dass die notwendige Arbeit im Durchschnitt elf Stunden und die Mehrarbeitszeit eine Stunde betragen hätte.

Man muss annehmen, dass sich dieses Verhältnis im Laufe der Zeit geändert hat und von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich war. Solche Unterschiede können wir hier außer Acht lassen, denn die in der folgenden Rechnung aufgezeigte Wirkung ist auch mit beliebigen anderen Zahlenverhältnissen festzustellen.

Ich nehme weiter an, dass in der griechischen Antike die Sklavenarbeit durch geringere Lebenshaltungskosten und durch längere Arbeitszeiten – wie oben dargestellt – produktiver war als freie Lohnarbeit. Ich unterstelle daher im folgenden Modell, dass Sklavenarbeit aus zehn Stunden notwendiger Arbeit und zwei Stunden Mehrarbeit bestanden hat. Auch hier kommt es nicht auf präzise und absolute Größen an.

Die Anwendung von produktiver Sklavenarbeit führte notwendig zu erheblichen Unterschieden im Reichtum, führte notwendig zu sozialer Differenzierung. Das verdeutlicht folgende Modellrechnung.

Falls ein freier griechischer Bauer oder Handwerker seinen gesamten Ertrag aus dem eigenen Mehrprodukt (dem Überschussprodukt über seinen notwendigen Lebens­unterhalt) aufsparte, dann konnte er (bei dem gegebenen Verhältnis der Gesamtarbeit zur Mehrarbeit von 12 zu 1) in einem Jahr ein Zwölftel seines Einkommens sparen. Also dauerte es (alle Wechselfälle ausgeschlossen) zwölf Jahre, bis dieser freie griechische Bauer oder Handwerker seinen bisherigen Besitz verdoppeln konnte.

Betrachten wir nun einen griechischen Handwerker, der zusammen mit zwei Sklaven produzierte. Unter der Voraussetzung, dass Sklavenarbeit zwei Zwölftel oder ein Sechstel Mehrprodukt lieferte, konnte der Sklavenbesitzer im Jahr zwei Sechstel aus der Mehrarbeit seiner Sklaven und ein Zwölftel aus eigenem Mehrprodukt aufsparen. Er hätte (alle Wechselfälle ausgeschlossen) seinen Besitz in sechs Jahren verdoppelt.

Nehmen wir nun einen griechischen Sklavenbesitzer mit sechs Sklaven, der selbst nicht mitarbeitete, sondern einen besonders ausgebildeten Sklaven als Aufseher hielt. Anschaffung und Unterhalt dieses unfreien Sklavenaufsehers sei so teuer, dass er seinem Besitzer kein Mehrprodukt lieferte. Dann erhielt der Sklavenbesitzer ohne eigene Arbeit pro Jahr von fünf Sklaven je ein Sechstel Mehrprodukt, zusammen fünf Sechstel. Der Sklavenbesitzer würde seinen Besitz in knapp drei Jahren verdoppeln.

Wie weit sich unter diesen Verhältnissen die Schere zwischen Arm und Reich im Zeitraum von zwölf Jahren öffnen musste, veranschaulicht die Grafik.

 

 

Der selbstarbeitende griechische Bauer oder Handwerker ohne Sklaven hätte nach zwölf Jahren seinen Besitz verdoppelt, der Anwender von zwei Sklaven hätte in der gleichen Zeit seinen Besitz verdreifacht, der Anwender von fünf Sklaven versechsfacht. Allerdings wurden dabei wirtschaftliche Bedingungen unterstellt, wie sie optimistischer und günstiger nicht hätten sein können.

Nehmen wir die in der wirtschaftlichen Realität unvermeidlichen Wechselfälle wie Erkrankungen, Missernten, Teuerungen, Unterbrechungen der Zufuhr oder des Absatzes durch Kriege oder Naturkatastrophen in unsere Rechnung auf, dann müssen wir einen Teil des angehäuften Reichtums als Vorrat für Notzeiten abrechnen.

Erreicht diese Minderung des akkumulierten Reichtums in zwölf Jahren die Größenordnung eines normalen Jahreseinkommens, dann kommen wir an den Wendepunkt, wo der einzelne griechische Handwerker oder Bauer ohne Sklavenarbeit keinen Eigentums­zuwachs mehr erzielen konnte. Wurde der Einkommensabzug durch Notzeiten noch größer, erlitt er einen Rückgang seines Einkommens und wurde ärmer. Ganz anders seine mit Sklaven wirtschaftenden Konkurrenten, die ihr Einkommen noch erhöhen konnten, auch wenn sie die gleiche Einbuße (ein einfaches Jahreseinkommen) erlitten: Bei Abzug eines einfachen Jahreseinkommens hätte der Handwer­ker mit zwei Sklaven nach zwölf Jahren noch eine Einkommenssteigerung auf das Doppelte erreicht, der Eigentümer von sechs Sklaven eine Steigerung auf das Fünffache.

Sobald die Sklavenarbeit einen gewissen Anteil der Gesamtarbeit ergriff und sobald die Warenproduktion einen gewissen Anteil der Gesamtproduktion ausmachte, war jeder Bauer und jeder Handwerker bei Strafe des allmählichen Ruins gezwungen, ebenfalls Sklavenarbeit anzuwenden und ebenfalls für den Markt zu produzieren. (...)

Die Sklavenarbeit untergrub die weitgehende Homogenität der frühen Polisgesellschaften, die vor allem auf der Kooperation der Bauern untereinander beruhten. Die frühere Interessengemeinschaft der Bauernkrieger, die ihr Land und ihre Interessen gegen Alteingesessene oder Eindringlinge gemeinsam verteidigten, wurde gesprengt.

Ökonomisch sichtbar wurde die Auflösung der Polisgemeinschaft am wachsenden Vermögen der Reichen und an der sozialen Differenzierung der Polisgesellschaft.

Der Schweinehirt von Odysseus hatte noch in alter Zeit vom Reichtum seines Herrn geprahlt: „Nicht zwan­zig Männer zusammen haben so viele Reichtümer.“ (Odyssee 14, 96 f.) Das Zwanzigfache eines Durchschnittshaushaltes war also in der Welt Homers ein märchenhafter Reichtum.

Einige Jahrhunderte später, im 5. Jahrhundert v. Chr., war solcher individuelle Reichtum mehr oder minder alltäglich. Von dem Landgut eines gewissen Buselos in Eleusis wissen wir, dass es einen Wert von 12.000 Drachmen hatte, ohne dass dieser Reichtum irgendeinen Anlass zum Erstaunen gab. Der Besitz dieses Buselos war vierzigmal größer als die damalige athenische „Armutsgrenze“ von 300 Drachmen, bis zu der ein athenischer Bürger Anspruch auf staatliche Unterstützung hatte.

Politisch sichtbar wurde der Verlust der ursprünglichen Gemeinschaftlichkeit und Interessenidentität der Polisgesellschaft, sobald soziale Gruppen innerhalb einer Polis politische Bündnisse mit Gruppierungen in einer anderen Polis eingingen, was sich bis zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in einer Polis zuspitzen konnte. Das aber war politischer Alltag in den wohlhabenden griechischen Städten der klassischen und der späteren Zeit. (....)

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Stand: 14.02.2008