Diktatur des Proletariats

 

 

Karl Marx bezeichnete alle bisherigen Staatsformen als „organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen“ und damit alle Herrschaftsformen als Diktatur. „Staat“ und „Diktatur einer Klasse“ sind für Marx gleich-bedeutende Bezeichnungen.

Da nach Auffassung von Marx und Engels der erste Schritt der sozialen Revolution die Eroberung der Staatsmacht durch die lohnarbeitende Mehrheit ist, müssen auch die Lohnarbeiter eine politische „Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen“ organisieren. Diese politische Herrschaft der Lohnarbeiter kann ebenso „Regierung der Arbeiterklasse“, „Staat der Arbeiterklasse“ oder „Diktatur des Proletariats“ genannt werden.

Das erste historische Beispiel und Muster dieser revolutionären Staatsform war die Pariser Kommune mit ihrer Rätedemokratie. Da die Rätedemokratie eine Diktatur der großen Mehrheit über eine kleine Minderheit ist, ist sie für die Mehrheit des Volkes schon kein Staat mehr im eigentlichen Sinne, denn die „Regierung der großen Mehrheit“ übt keine Gewalt gegen diese Mehrheit aus.

Erst mit Abschaffung der Lohnarbeit und der Warengesellschaft kann und muss jeder Staat und jede Herrschaft verschwinden.

 

1. Jeder Staat ist Herrschaft oder Diktatur

„Die politische Gewalt im eigentlichen Sinn ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 482.

„In Wirklichkeit aber ist der Staat nichts als eine Maschine zur Unterdrückung einer Klasse durch eine andere, und zwar in der demokratischen Republik nicht minder als in der Monarchie; und im besten Fall ein Übel, das dem im Kampf um die Klassen-herrschaft siegreichen Proletariat vererbt wird und dessen schlimmsten Seiten es ebenso wenig wie die Kommune umhin können wird, sofort möglichst zu beschneiden, bis ein in neuen, freien Gesellschaftszuständen herangewachsenes Geschlecht imstande sein wird, den ganzen Staatsplunder von sich abzutun.“ F. Engels, Einleitung von 1891 zu „K. Marx: Bürgerkrieg in Frankreich“, MEW 17, 625.

„In jedem Kampf von Klasse gegen Klasse ist das unmittelbare Ziel, um das gekämpft wird, die politische Macht; die herrschende Klasse verteidigt ihre politische Vorherrschaft, das heißt ihre sichere Mehrheit in den gesetzgebenden Körperschaften; die untere Klasse kämpft zuerst um einen Anteil an dieser Macht, später um die ganze Macht, um in die Lage zu kommen, die bestehenden Gesetze entsprechend ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen zu ändern.“ F. Engels, Gewerkschaften, MEW 19, 258.

„Da das Proletariat während der Periode des Kampfs zum Umsturz der alten Gesellschaft noch auf der Basis der alten Gesellschaft agiert und daher auch noch in politischen Formen sich bewegt, die ihr mehr oder minder angehören, hat es seine schließliche Konstitution noch nicht erreicht während dieser Kampfperiode und wendet Mittel zur Befreiung an, die nach der Befreiung wegfallen; ...“ K. Marx, Konspekt zu Bakunin, MEW 18, 636.

 

2. Arbeiterregierung

„Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ K. Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, 28.

„Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revo-lution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“ K. Marx, Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, 89.

„Was ich neu tat, war

1. nachzuweisen, dass die Existenz der Klassen bloß an be-stimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist;

2. dass der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Prole-tariats führt;

3. dass diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zur klassenlosen Gesellschaft bildet.“ K. Marx, Brief an Weydemeyer (1852), MEW 28, 507f.

„Marx und ich haben, seit 1845, die Ansicht gehabt, dass eine der schließlichen Folgen der künftigen proletarischen Revolution sein wird die allmähliche Auflösung und endlich das Verschwinden der mit dem Namen Staat bezeichneten politischen Organisa-tion, einer Organisation, deren Hauptzweck von jeher war, durch bewaffnete Gewalt, die ökonomische Unterdrückung der arbeitenden Mehrzahl durch die begüterte Minderzahl sicher-zustellen.

Mit dem Verschwinden einer begüterten Minderzahl verschwindet auch die Notwendigkeit einer bewaffneten Unterdrückungs- oder Staatsgewalt.

Gleichzeitig war es immer unsere Ansicht, dass, um zu diesem und den anderen weit wichtigeren Zielen der künftigen sozialen Revolution zu gelangen, die Arbeiterklasse zuerst die organisierte politische Gewalt des Staates in Besitz nehmen und mit ihrer Hilfe den Widerstand der Kapitalistenklasse niederstampfen und die Gesellschaft neu organisieren muss. Dies wurde bereits festgestellt 1847 im ‚Kommunistischen Manifest‘, Kapitel II, Schluss.“ F. Engels, Brief an Van Patten (1883), MEW 36, 11.

 

3. Die Pariser Kommune – Vorbild und Modell jeder Arbeiterregierung

„Die Kommune war eine Revolution gegen den Staat selbst, gegen diese übernatürliche Fehlgeburt der Gesellschaft; sie war eine Wiederbelebung durch das Volk und des eigenen gesellschaftlichen Lebens. Sie war nicht eine Revolution, um die Staatsmacht von einer Fraktion der herrschenden Klassen an die andere zu übertragen, sondern eine Revolution, um diese abscheuliche Maschine der Klassenherrschaft selbst zu zer-brechen. ... Die Kommune war die entschiedene Negation jener Staatsmacht und darum der Beginn der sozialen Revolution des 19. Jahrhunderts. Was daher immer ihr Geschick in Paris ist, sie wird ihren Weg um die Welt machen.“ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 541f.

„Die Mannigfaltigkeit der Deutungen, denen die Kommune unterlag, und die Mannigfaltigkeit der Interessen, die sich in ihr ausgedrückt fanden, beweisen, dass sie eine durch und durch ausdehnungsfähige politische Form war, während alle früheren Regierungsformen wesentlich unterdrückend gewesen waren.

Ihr wahres Geheimnis war dies: Sie war wesentlich eine Regie-rung der Arbeiterklasse, das Resultat des Kampfs der hervor-bringenden gegen die aneignende Klasse, die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen konnte. ...

Die politische Herrschaft des Produzenten kann nicht bestehen neben der Verewigung seiner gesellschaftlichen Knechtschaft. Die Kommune sollte daher als Hebel dienen, um die ökonomischen Grundlagen umzustürzen, auf denen der Bestand der Klassen und damit der Klassenherrschaft ruht.

Einmal die Arbeit emanzipiert, so wird jeder Mensch ein Arbeiter, und produktive Arbeit hört auf, eine Klasseneigenschaft zu sein.“ K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 342.

„Die Kommune musste gleich von vornherein anerkennen, dass die Arbeiterklasse, einmal zur Herrschaft gekommen, nicht fortwirtschaften könne mit der alten Staatsmaschine; dass diese Arbeiterklasse, um nicht ihrer eigenen, erst eben eroberten Herrschaft wieder verlustig zu gehen, einerseits alle die alte, bisher gegen sie selbst ausgenutzte Unterdrückungsmaschinerie beseiti-gen, andererseits aber sich sichern müsse gegen ihre eigenen Abgeordneten und Beamten, indem sie diese, ohne alle Ausnahme, für jederzeit absetzbar erklärte. ...

Diese Sprengung der bisherigen Staatsmacht und ihre Ersetzung durch eine neue, in Wahrheit demokratische, ist im dritten Abschnitt des ‚Bürgerkriegs‘ (von Marx) eingehend geschildert. ...

Der sozialdemokratische Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ F. Engels, Einleitung von 1891 zu „K. Marx: Bürgerkrieg in Frankreich“, MEW 17, 623ff.

„Eine unterdrückte Klasse ist die Lebensbedingung jeder auf Klassengegensatz begründeten Gesellschaft. Die Befreiung der unterdrückten Klasse schließt also notwendigerweise die Schaffung einer neuen Gesellschaft ein. ... Heißt dies, dass es nach dem Sturz der alten Gesellschaft eine neue Klassenherrschaft geben wird, die in einer neuen politischen Gewalt gipfelt? Nein. Die Bedingung der Befreiung der arbeitenden Klasse ist die Abschaffung jeder Klasse. ...

Die arbeitende Klasse wird im Laufe der Entwicklung an die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft eine Assoziation (= freiwillige Vereinigung) setzen, welche die Klassen und ihren Gegensatz ausschließt, und es wird keine eigentliche politische Gewalt mehr geben, weil gerade die politische Gewalt der offizielle Ausdruck des Klassengegensatzes innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft ist. ... Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein.“ Karl Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 181f.

„Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinn ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingung des Klassengegensatzes, der Klassen über-haupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf.

An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation (= freiwillige Vereinigung), worin die freie Entwicklung eines jeden die Be-dingung für die freie Entwicklung aller ist.“ K. Marx, Kommunistisches Manifest, MEW 4, 482.

Siehe auch die Artikel:

Herrschaft

Klassen und Klassenkampf

Klassenlose Gesellschaft

Kommune von Paris

Staat

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Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.