Ethik & Moral

 

1. Menschen handeln auf Grundlage von Interessen,
nicht auf Grundlage einer Moral

Für erfolgreiches Handeln brauchen wir keine Ethik, sondern Kenntnisse über unsere eigene Interessenlage, über die Möglichkeiten, die sich uns bieten, und über die Folgen, die sich daraus ergeben.

„Die Moral ist die ‚Machtlosigkeit in Aktion‘. So oft sie ein Laster bekämpft, unterliegt sie.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 213.

„Niemand hat den ohnmächtigen Kantischen ‚kategorischen Imperativ‘ – ohnmächtig, weil er das Unmögliche fordert, also nie zu etwas Wirklichem kommt – schärfer kritisiert ... als gerade der vollendete Idealist Hegel.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 281.

„,Man glaubt etwas sehr Großes zu sagen – heißt es bei Hegel – wenn man sagt: Der Mensch ist von Natur gut; aber man vergisst, dass man etwas weit Größeres sagt mit den Worten: Der Mensch ist von Natur böse.‘ (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts und Vorlesungen über die Philosophie der Religion.)

Bei Hegel ist das Böse die Form, worin die Triebkraft der ge-schichtlichen Entwicklung sich darstellt. Und zwar liegt hierin der doppelte Sinn, dass einerseits jeder neue Fortschritt notwendig auftritt als Frevel gegen ein Heiliges, als Rebellion gegen die alten, absterbenden, aber durch die Gewohnheit geheiligten Zustände, und andererseits, dass seit dem Aufkommen der Klassen-gegensätze es gerade die schlechten Leidenschaften der Menschen sind, Habgier und Herrschsucht, die zu Hebeln der geschicht-lichen Entwicklung werden, wovon z. B. die Geschichte des Feudalismus und der Bourgeoisie ein einziger fortlaufender Beweis ist.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 287.

„... Die Kommunisten (machen) weder den Egoismus gegen die Aufopferung noch die Aufopferung gegen den Egoismus gel-tend ... und (fassen) theoretisch diesen Gegensatz weder in jener gemütlichen noch in jener überschwänglichen ideologischen Form ..., vielmehr weisen sie seine materielle Geburtsstätte nach ..., mit welcher er von selber verschwindet.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 229.

 

2. Predigen Kommunisten eine neue Moral?

„Die Kommunisten predigen überhaupt keine Moral. ... Sie stellen nicht die moralische Forderung an die Menschen: Liebet Euch untereinander, seid keine Egoisten usw.; sie wissen im Gegenteil sehr gut, dass der Egoismus ebenso wie die Aufopferung eine unter bestimmten Verhältnissen notwendige Form der Durch-setzung der Individuen ist. Die Kommunisten wollen also keines-wegs ... den ‚Privatmenschen‘ dem ‚allgemeinen‘, dem auf-opfernden Menschen zuliebe aufheben ...

Die ... Kommunisten ... wissen, dass dieser Gegensatz nur scheinbar ist, weil die eine Seite, das so genannte ‚Allgemeine‘, von der anderen, dem Privatinteresse, fortwährend erzeugt wird und keineswegs ihm gegenüber eine selbständige Macht mit einer selbständigen Geschichte ist ... “ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 229.

„Die Kommunisten, indem sie die materielle Basis angreifen, auf der die bisher notwendige Festigkeit der Begierden oder Gedanken beruht, sind die einzigen, durch deren geschichtliche Aktion die Veränderung der fix werdenden Begierden und Gedanken wirklich vollzogen wird und aufhört, wie bei allen bisherigen Moralisten ... ein ohnmächtiges Moralgebot zu sein.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 238.

„Je mehr die normale Verkehrsform der Gesellschaft und damit die Bedingungen der herrschenden Klasse ihren Gegensatz gegen die fortgeschrittenen Produktivkräfte entwickeln, je größer daher der Zwiespalt in der herrschenden Klasse selbst und mit der beherrschten Klasse wird, desto unwahrer wird natürlich das dieser Verkehrsform ursprünglich entsprechende Bewusstsein ..., desto mehr sinken die früheren überlieferten Vorstellungen dieser Verkehrsverhältnisse ... zu bloß idealisierenden Phrasen, zur bewussten Illusion, zur absichtlichen Heuchelei herab. Je mehr sie aber durch das Leben Lügen gestraft werden, ... desto entschiedener werden sie geltend gemacht, desto heuchlerischer, moralischer und heiliger wird die Sprache dieser normalen Gesellschaft.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 274.

„Gut und Böse: Dieser Gegensatz bewegt sich ausschließlich auf moralischem, also auf einem der Menschengeschichte angehörigen Gebiet ... Von Volk zu Volk, von Zeitalter zu Zeitalter haben die Vorstellungen über Gut und Böse so sehr gewechselt, dass sie einander oft geradezu widersprachen. ... Wie steht es aber heute? Welche Moral wird uns heute gepredigt? Da ist zuerst die christlich-feudale, ..., die sich wesentlich wieder in eine katholische und protestantische teilt, wobei wieder Unterab-teilungen von der jesuitisch-katholischen und orthodox-protes-tantischen bis zur lax-aufgeklärten Moral nicht fehlen. Daneben besteht die modern-bürgerliche und neben dieser wieder die proletarische Zukunftsmoral, so dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft allein in den fortgeschrittensten Ländern Europas drei große Gruppen gleichzeitig und nebeneinander geltender Moraltheorien liefern. Welche ist nun die wahre? Keine einzige, im Sinn absoluter Endgültigkeit ...

Wenn wir nun aber sehen, dass die drei Klassen der modernen Gesellschaft, die Feudalaristokratie, die Bourgeoisie und das Proletariat jede ihre besondere Moral haben, so können wir daraus nur den Schluss ziehen, dass die Menschen, bewusst oder unbewusst, ihre sittlichen Anschauungen in letzter Instanz aus den praktischen Verhältnissen schöpfen, in denen ihre Klassenlage begründet ist – aus den ökonomischen Verhältnissen, in denen sie produzieren und austauschen ...“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 86f.

 

Anmerkung: Man hatte im Sowjetmarxismus versucht, die radikale Kritik von Karl Marx an jeder Moral auf eine bloße Kritik an der „bürgerlichen Moral“ zu beschränken, um eine „marxistisch-leninistische Ethik“ formulieren zu können, „die die höchsten Ideale der Menschheit zum Ausdruck bringt. Sie formuliert die Moralprinzipien aller Menschen, die hier und heute eine wahrhaft sittliche Gesellschaftsordnung und einen wahrhaft sittlichen Menschen sehen möchten“. K. A. Schwarzman: Ethik ohne Moral. Berlin 1967, 289.

Zu diesem Zweck versuchte man in Sachen Moral Engels gegen Marx auszuspielen, indem man so tat, als hätte Engels eine „proletarische Zukunftsmoral“ gegenüber der bürgerlichen und der christlich-feudalen Moral verteidigt.

Vielleicht sind die Formulierungen von Engels hier missver-ständlich, aber ich denke, dass der Gedankengang von Engels nichts anderes aussagt, als der vorher zitierte Gedanke von Marx.

Marx zog die Geschichte zum Beweis dafür heran, dass jede Moral historisch bedingt ist und keine Ethik einen absoluten Maßstab abgeben kann. Engels benutzte die synchronistische, zeitgleiche Argumentation, dass in einer Klassengesellschaft zur gleichen Zeit mehrere Moralprinzipien nebeneinander bestehen, weil verschiedene Klassen jeweils eigene Moralvorstellungen entwickeln. Aus beiden Betrachtungsweisen ergibt sich: Keine Moral kann absolute Gültigkeit erwarten und jede Ethik ist aus dem jeweils nützlichen Verhalten abgeleitet.

 

Siehe auch die Artikel:

Christentum

Gott

Interessen

 

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Zur Zitierweise:
Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßein-heiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberech-nungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Wäh-rungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen:

Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschrei-bung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff