Philosophie1. Wir müssen
Philosophie beiseite lassen Als gelernter Philosoph hatte Karl Marx in seinen
Frühschriften auch „philosophische Phraseologie“ benutzt.
Mein „Weg zur
materialistischen, nicht voraussetzungslosen, sondern
die wirklichen materiellen Voraussetzungen als solche empirisch
beobachtenden und darum erst wirklich kritischen Anschauung der
Welt ... (geschah) damals noch in philosophischer Phraseologie ...; so
gaben die hier traditionell unterlaufenden philosophischen Ausdrücke wie
‚menschliches Wesen‘, ‚Gattung‘ usw. den deutschen Theoretikern die
erwünschte Veranlassung, ... zu glauben, es handle sich hier wieder nur um
eine neue Wendung ihrer abgetragenen theoretischen Röcke
... Man muss ‚die
Philosophie beiseite liegen lassen‘ ... man muss aus ihr herausspringen
und sich als ein gewöhnlicher Mensch an das Studium der Wirklichkeit
geben, wozu auch ... ein ungeheures, den Philosophen natürlich unbekanntes
Material vorliegt.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 217. 2. Was
ist nötig - anstelle von Philosophie? 2.1. Praxis statt
Philosophie Philosophie heißt, in allen Dingen ewige Wahrheiten und
ewige Kategorien wie „menschliche Gattung“, „Entwicklung“ oder
„Widerspruch“ zu suchen. „... Begreifen
besteht aber nicht, wie Hegel meint, darin, die Bestimmungen des logischen
Begriffs überall wiederzuerkennen, sondern die eigentümliche Logik des
eigentümlichen Gegenstandes zu fassen.“ K. Marx, Kritik des
Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 296. „Übrigens löst sich in
dieser Auffassung der Dinge, wie sie wirklich sind und geschehen sind ...
jedes tiefsinnige philosophische Problem ganz einfach in ein empirisches
Faktum auf.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 43. „Die Philosophen haben
die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu
verändern.“ K. Marx, Thesen über
Feuerbach, MEW 3, 7. Wenn wir verändern
wollen, „so brauchen wir dazu
keine Philosophie, sondern wirkliche Kenntnisse von der Welt und was in
ihr vorgeht; ...“. F. Engels,
Anti-Dühring, MEW 20, S. 34. Anmerkung: Weder verfügen
Einzelindividuen über die nötige Sachkenntnis und die nötigen Fähigkeiten,
um alle die tausend Dinge oder Dienstleistungen herzustellen, die wir
täglich brauchen, noch verfügen Einzelindividuen über die nötige
Sachkenntnis und die nötigen Fähigkeiten, um eine ganze Gesellschaft im
Interesse der Mehrheit zu verändern. Wie die industrielle Produktion nur
mit Hilfe der Kooperation vieler Einzelner mit ganz beschränkten
Fähigkeiten und Kenntnissen funktioniert, so verwirklicht sich die soziale
Emanzipation, die Selbstbestimmung der großen Mehrheit und die Abschaffung
der Lohnarbeit, nur über die Kooperation von vielen Millionen von
unvollkommenen Menschen. 2.2. Allgemeinverständliche Sprache statt philosophischer
Phraseologie „Wie die Philosophen
das Denken verselbständigt haben, so mussten sie die Sprache zu einem
eigenen Reich verselbständigen. Dies ist das Geheimnis der philosophischen
Sprache, worin die Gedanken als Worte einen eigenen (besonderen)
Inhalt haben. ... Die Philosophen hätten ihre Sprache nur in die
gewöhnliche Sprache, aus der sie ab-strahiert ist, aufzulösen, um sie als
die verdrehte Sprache der wirklichen Welt zu erkennen und einzusehen, dass
weder die Gedanken noch die Sprache für sich ein eigenes Reich bilden;
dass sie nur Äußerungen des wirklichen Lebens sind.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 432f. „Erst wird eine
Abstraktion aus einer Tatsache gezogen; dann erklärt, dass diese Tatsache
auf dieser Abstraktion beruhe. Billigste Methode, deutsch, tief und
spekulativ zu erscheinen. Zum
Beispiel: Tatsache:
Die
Katze frisst die Maus. Überlegung:
Katze = Natur, Maus =
Natur, Verzehren der Maus durch die Katze =Verzehren der Natur durch die Natur =Selbstverzehren der
Natur. Philosophische
Darstellung der Tatsache: Auf dem
Selbstverzehren der Natur beruht das Gefressenwerden der Maus von der
Katze.“ K. Marx, Deutsche
Ideologie, MEW 3, 469f. Das „Selbstverzehren der Natur“ war die Entdeckung Platons, des Stammvaters aller modernen Philosophie: „Denn von nirgends her fand ein Zugang oder Abgang statt, .... sondern ein Sichselbstverzehren gewährt der Welt ihre Nahrung; ...“ Platon, Timaios 33 d. „Da die unpersönliche
Vernunft der Hegel’schen Philosophie außer sich weder einen Boden
hat, auf den sie sich stellen kann, noch ein Objekt, dem sie sich
entgegenstellen kann, noch ein Subjekt, mit dem sie sich verbinden kann,
sieht sie sich gezwungen, einen Purzelbaum zu schlagen und sich selbst zu
ponieren (zu setzen), zu opponieren (entgegenzusetzen) und
zu komponieren – Position (Satz), Opposition (Gegensatz),
Komposition. Um griechisch zu
sprechen, haben wir These, Antithese und Synthese. Für die, welche die
Hegel’sche Sprache nicht kennen, lassen wir die Weihungsformel folgen:
Affirmation, Negation, Negation der Negation. Das nennt man reden. Es ist zwar kein Hebräisch ..., aber es ist die Sprache dieser reinen, vom Individuum getrennten Vernunft. An Stelle des gewöhnlichen Individuums und seiner gewöhnlichen Art zu reden und zu denken, haben wir lediglich diese gewöhnliche Art an sich, ohne das Individuum.“ K. Marx, Elend der Philosophie, MEW 4, 127. „Die spekulative Philosophie, namentlich die Hegel’sche Philosophie, musste alle Fragen aus der Form des gesunden Menschenverstandes in die Form der spekulativen Vernunft übersetzen und die wirkliche Frage in eine spekulative Frage verwandeln, um sie beantworten zu können. Nachdem die Spekulation mir meine Frage im Munde verdreht und mir, wie der Katechismus, ihre Frage in den Mund gelegt hatte, konnte sie natürlich, wie der Katechismus, auf jede meiner Fragen ihre Antwort bereit halten.“ K. Marx, Hl. Familie, MEW 2, 95. „Jede Entwicklung,
welches ihr Inhalt sei, lässt sich darstellen als eine Reihe von
verschiedenen Entwicklungsstufen, die so zusammenhängen, dass die eine die
Verneinung (= einen Gegensatz zu) der anderen bildet.“ K. Marx,
Moralisierende Kritik, MEW 4, 336. „Es versteht sich von
selbst, dass ich über den besonderen Entwicklungsprozess, den z. B. das
Gerstenkorn von der Keimung bis zum Absterben der fruchtragenden Pflanze
durchmacht, gar nichts sage, wenn ich sage, es ist Negation der Negation
...“ F.
Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 131. 2.3. Wissenschaft
statt Philosophie Hegel „entwickelt sein Denken nicht aus dem Gegenstand, sondern den Gegenstand nach einem mit sich fertigen und in der abstrakten Sphäre der Logik mit sich fertig gewordenen Denken“. K. Marx, Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW 1, 213. „Sobald wir einmal eingesehen haben – und zu dieser Einsicht hat uns schließlich niemand mehr verholfen als Hegel selbst –, dass die so gestellte Aufgabe der Philosophie nichts weiter heißt als die Aufgabe, dass ein einzelner Philosoph das leisten soll, was nur die gesamte Menschheit in ihrer fortschreitenden Entwicklung leisten kann – sobald wir das einsehen, ist es auch am Ende mit der ganzen Philosophie im bisherigen Sinn des Worts. Man lässt die auf diesem Weg und für jeden einzelnen unerreichbare ‚absolute Wahrheit‘ laufen und jagt dafür den erreichbaren relativen Wahrheiten nach auf dem Weg der positiven Wissenschaften und der Zusammenfassung ihrer Resultate vermittelst des dialektischen Denkens.“ F. Engels, Ludwig Feuerbach, MEW 21, 270. „Sobald an jede einzelne Wissenschaft die Forderung herantritt, über ihre Stellung im Gesamtzusammenhang der Dinge und der Kenntnis von den Dingen sich klar zu werden, ist jede besondere Wissenschaft vom Gesamtzusammenhang überflüssig. Was von der ganzen bisherigen Philosophie dann noch selbständig bestehen bleibt, ist die Lehre vom Denken und seinen Gesetzen – die formelle Logik und die Dialektik. Alles andere geht auf in die positive Wissenschaft von Natur und Geschichte.“ F. Engels, Anti-Dühring, MEW 20, 24. „Die Menschen sind die
Produzenten ihrer Vorstellungen, Ideen usw., aber die wirklichen,
wirkenden Menschen, wie sie bedingt sind durch eine bestimmte Entwicklung
ihrer Produktivkräfte und des denselben entsprechenden Verkehrs bis zu
seinen weitesten Formationen hinauf. Das Bewusstsein kann nie etwas
anderes sein als das bewusste Sein, und das Sein der Menschen ist ihr
wirklicher Lebensprozess. Wenn in der ganzen Ideologie die Menschen und
ihre Vorstellungen wie in einer Camera obscura auf den Kopf gestellt
erscheinen, so geht dies Phänomen ebenso sehr aus ihrem historischen
Lebensprozess hervor, wie die Umdrehung der Gegenstände auf der Netzhaut
aus ihrem unmittelbar physischen. Ganz im Gegensatz zur deutschen Philosophie, welche vom Himmel auf die Erde herabsteigt, wird hier von der Erde zum Himmel gestiegen. D. h., es wird nicht ausgegangen von dem, was die Menschen sagen, sich einbilden, sich vorstellen ...; es wird von den wirklich tätigen Menschen ausgegangen und aus ihrem wirklichen Lebensprozess auch die Ent-wicklung der ideologischen Reflexe und Echos dieses Lebensprozesses dargestellt. ... Nicht das Bewusstsein bestimmt das Leben, sondern das Leben bestimmt das Bewusstsein. ... Da, wo die Spekulation aufhört, beim wirklichen Leben, beginnt also die wirkliche, positive Wissenschaft, die Darstellung der praktischen Betätigung, des praktischen Entwicklungsprozesses der Menschen. Die Phrasen vom Bewusstsein hören auf, wirkliches Wissen muss an ihre Stelle treten. Die selbständige Philosophie verliert mit der Darstellung der Wirklichkeit ihr Existenzmedium.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 26f. „Philosophie und Studium der wirklichen Welt verhalten sich zueinander wie Onanie und Sex.“ K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 218. Siehe auch die Artikel: |
Zur
Zitierweise: Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete
Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum
Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als
Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder
auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er
selbst hingewiesen: „Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund
Sterling bedeuten.“ Kapital II, MEW 24, 396. Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff. |