Reformen und Reformismus

 

Reformen sind Abschlagszahlungen, die man akzeptiert, ohne auf das Ziel der Selbstbestimmung der wirklichen Produzenten zu verzichten. Der Reformismus will keine Beseitigung der Lohnarbeit, sondern begnügt sich mit ihrer bürokratischen Verwaltung, um einzelne Übelstände abzumildern, die mit Lohnarbeit notwendig verbunden sind.

 

1. Reformen sind Abschlagszahlungen auf dem Weg zur Emanzipation

Im Allgemeinen können die sozialen Reformen aber auch niemals durch die Schwäche des Starken bewirkt werden; sie müssen und werden ins Leben gerufen werden durch die Stärke des Schwachen. K. Marx, Schutzzöllner, MEW 4, 298.

Doch werden soziale Reformen niemals durch die Schwäche der Starken bewirkt, sondern immer durch die Stärke der Schwachen. F. Engels, Freihandelskongress, MEW 4, 306.

... Die deutsche Arbeiterklasse wird alles, was man ihr anbietet, als Abschlagszahlung akzeptieren, aber nicht ein Jota von ihren Prinzipien und Forderungen nachlassen. F. Engels, Dt. Wahlen 1890, MEW 22, 5.

Die Arbeiter Englands brauchen nur zu wollen, und sie haben die Macht, jede soziale und politische Reform durchzusetzen, die ihre Lage erfordert. Warum dann diese Anstrengung nicht machen? F. Engels, Arbeiterpartei, MEW 19, 279.

 

2. Reformismus: Reform statt Abschaffung der Lohnarbeit

... In der sozialdemokratischen Partei selbst, bis in die Reichstags-fraktion hinein, findet ein gewisser kleinbürgerlicher Sozialismus seine Vertretung. Und zwar in der Weise, dass man zwar ... die Forderung der Verwandlung aller Produktionsmittel in gesellschaftliches Eigentum als berechtigt anerkennt, aber ihre Verwirklichung nur in entfernter, praktisch unabsehbarer Zeit für möglich erklärt. Damit ist man denn für die Gegenwart auf bloßes soziales Flickwerk angewiesen ... F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 21, 328.

 

Das revolutionäre Programm soll nicht aufgegeben, sondern nur aufgeschoben werden bis auf unbestimmte Zeit. Man nimmt es an, aber eigentlich nicht für sich selbst und für seine Lebzeiten, sondern nach seinem Tod, als Erbstück für Kinder und Enkel. Inzwischen wendet man seine ganze Kraft und Energie auf allerhand Kleinkram und Herumflickerei an der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, damit es doch aussieht, als geschehe etwas und gleichzeitig die Bourgeoisie nicht erschreckt werde. ...

Statt entschiedener politischer Opposition allgemeine Vermittlung; statt des Kampfes gegen Regierung und Bourgeoisie der Versuch sie zu gewinnen und zu überreden; statt trotzigen Widerstands gegen Misshandlungen von oben demütige Unterwerfung und das Zugeständ-nis, man habe die Strafe verdient.

Alle historisch notwendigen Konflikte werden umgedeutet in Missverständnisse und alle Diskussion beendigt mit der Beteuerung: in der Hauptsache sind wir ja alle einig. ...

Der Sturz der kapitalistischen Ordnung (liegt) in unerreichbarer Ferne, hat also absolut keine Bedeutung für die politische Praxis der Gegen-wart; man kann vermitteln, kompromisseln, menschenrechteln nach Herzenslust.

Ebenso gehts mit dem Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Auf dem Papier erkennt man ihn an, weil man ihn doch nicht mehr wegleugnen kann, in der Praxis aber wird er vertuscht, verwaschen, abgeschwächt. Die sozialdemokratische Partei soll keine Arbeiterpartei sein, sie soll nicht den Hass der Bourgeoisie oder überhaupt irgendjemandes auf sich laden; sie soll vor allem unter der Bourgeoisie energische Propaganda machen; statt auf weitgehende, die Bourgeois abschreckende und doch in unserer Generation unerreichbare Ziele Gewicht zu legen, soll sie lieber ihre ganze Kraft und Energie auf diejenigen kleinbürgerlichen Flickreformen verwenden, die der alten Gesellschaftsordnung neue Stützen verleihen und dadurch die endliche Katastrophe vielleicht in einen allmählichen, stückweisen und möglichst friedfertigen Auflösungsprozess verwandeln könnten. Es sind dieselben Leute, die unter dem Schein rastloser Geschäftigkeit nicht nur selbst nichts tun, sondern auch zu hindern suchen, dass überhaupt etwas geschieht als schwatzen; ...

Wir haben bei der Gründung der Internationalen ausdrücklich den Schlachtruf formuliert: Die Befreiung der Arbeiterklasse muss das Werk der Arbeiterklasse selbst sein. Wir können also nicht in einer Partei zusammengehen mit Leuten, die es offen aussprechen, dass die Arbeiter zu ungebildet sind, sich selbst zu befreien, und erst von oben herab befreit werden müssen ... K. Marx/F. Engels, Zirkularbrief an die SPD-Führung (1879), MEW 19, 162165.

 

Argumente gegen ein staatliches, allgemeines Grundeinkommen von Friedrich Engels: "Beiläufig bemerkt, gilt das ... von allen sogenannten sozialen Reformen, die auf Sparen oder auf Verbilligung der Lebensmittel des Arbeiters hinauslaufen. Entweder werden sie allgemein, und dann folgt ihnen eine entsprechende Lohnherabsetzung, oder aber sie bleiben ganz vereinzelte Experimente, und dann beweist ihr bloßes Dasein als einzelne Ausnahme, dass ihre Durchführung im Großen mit der bestehenden kapitalistischen Produktionsweise unvereinbar ist. ... Gebt jedem Arbeiter ein ... unabhängiges (Jahres)Einkommen von 52 Taler, und sein Wochenlohn muss schließlich um einen Taler sinken. Also: Je mehr er spart, desto weniger Lohn erhält er. Er spart also nicht in seinem eigenen Interesse, sondern in der des Kapitalisten." F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 241. In meinem Deutsch: Gebt jedem Lohnarbeiter ein unabhängiges Monatseinkommen von 800 Euro, und sein Monatslohn muss schließlich um 800 Euro sinken. Also: Je mehr Nebeneinkommen er durch ein Grundeinkommen hat, desto weniger Lohn erhält er. Der "Nebenerwerb" durch Grundeinkommen ist also nicht im Interesse der Lohnarbeiter, sondern im Interesse der Kapitalisten.

 

"Und solange die kapitalistische Produktionsweise besteht, solange ist es Torheit, die Wohnungsfrage oder irgend eine andere, das Geschick der Arbeiter betreffende gesellschaftliche Frage einzeln lösen zu wollen. Die Lösung liegt in der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsweise, in der Aneignung aller Lebens- und Arbeitsmittel durch die Arbeiterklasse selbst." F. Engels, Wohnungsfrage, MEW 18, 263.

   

Siehe auch die Artikel:

Gesetze

Revolution

Staat

Übergangsforderungen

-> Diskussionsforum

Zur Zitierweise:

Wo es dem Verständnis dient, wurden veraltete Fremdwörter, alte Maßeinheiten und teilweise auch Zahlenbeispiele zum Beispiel in Arbeitszeitberechnungen modernisiert und der Euro als Währungseinheit verwendet. Dass es Karl Marx in Beispielrechnungen weder auf absolute Größen noch auf Währungseinheiten ankam, darauf hatte er selbst hingewiesen: Die Zahlen mögen Millionen Mark, Franken oder Pfund Sterling bedeuten. Kapital II, MEW 24, 396.

Alle modernisierten Begriffe und Zahlen sowie erklärende Textteile, die nicht wörtlich von Karl Marx stammen, stehen in kursiver Schrift. Auslassungen im laufenden Text sind durch drei Auslassungspunkte kenntlich gemacht. Hervorhebungen von Karl Marx sind normal fett gedruckt. Die Rechtschreibung folgt der Dudenausgabe 2000. Quellenangaben verweisen auf die Marx-Engels-Werke, (MEW), Berlin 1956ff.