Kapitalistischer Reichtum in Deutschland

Die Debatte über ein Grundeinkommen für alle hat volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen wieder in Mode gebracht. Der Debatte geholfen haben diese Berechnungen kaum. Der Aufmarsch einer Zahlenarmee von Milliardenbeträgen wirkt wie eine Doppeldosis Schlaftabletten. Meine grafisch unterstützte Analyse des kapitalistischen Reichtums in Deutschland und seiner Verwendung begnügt sich mit nur sechs offiziellen Zahlen des Statistischen Bundesamts.

Ich beginne mit der Gesamtsumme des im Jahr 2006 vorhandenen Reichtums.

Erwirtschaftet wurden im Jahr 2006 Waren und Dienstleistungen im Wert von 2.245 Milliarden Euro. Geschaffen haben diesen Reichtum - wie Karl Marx aufzeigte - im Wesentlichen die produktiven Lohnarbeiter. Zwar kann man auch kleine Gewerbetreibende - vom kleinen Bauer bis zum selbständigen Handwerker oder Programmierer, zu den "produktiven Arbeitern" rechnen, aber das Gesamtprodukt dieser Einzelarbeiter fällt volkswirtschaftlich nicht ins Gewicht.

Neben produktiven Lohnarbeitern und kleinen Selbständigen gibt es eine weitere Gruppe Menschen, die zum Reichtum in Deutschland beitragen. Ihr Beitrag wird in der Statistik als "Außenbeitrag" erfasst.

Siehe die Grafik 2).

Es handelt sich um 123 Mrd. Euro, dem Saldo zwischen Importkosten und Exporterlös. Da in aller Regel Kapitalisten die Besitzer der im- und exportierten Waren- und Dienstleistungsmenge sind, wandern diese 123 Mrd. Auslandsüberschuss auch in die Taschen der Kapitalisten. Die 123 Mrd. Euro sind kapitalistischer Profit, der außerhalb Deutschlands erwirtschaftet wurde und den Reichtum der Kapitalisten in Deutschland vergrößert. Ausbeutung und Ausplünderung (z.B. durch ungleichen Tausch) spielt da eine Rolle, auf die ich aber hier nicht weiter eingehe. Da es sich nur um 5% des deutschen BIP handelt, werde ich die 123 Mrd. im folgenden vernachlässigen.

Es bleibt ein im Inland geschaffener Reichtum im Wert von 2.184 Mrd. Euro. Dessen Verwendung soll im folgenden analysiert werden. In der Begrifflichkeit von Karl Marx handelt es sich bei diesem gesellschaftlichem Reichtum um das jährliche Neuprodukt (v + m).

"Der Totalwert der während eines Jahres produzierten Konsumtionsmittel ist also gleich dem Totalwert, den der totale gesellschaftliche Arbeitstag während des Jahres produziert, (ist also) gleich dem Wert des gesellschaftlichen variablen Kapitals plus dem gesellschaftlichen Mehrwert, (ist also) gleich dem totalen jährlichen Neuprodukt." Karl Marx, Kapital II, MEW 24, 423.

Nun fällt gleich auf, dass ein Teil dieses Neuprodukts, nämlich 411 Mrd. Euro, gar nicht für Konsumtionsmittel, sondern für Sachkapital aufgewandt wurde. Das ist der Teil des kapitalistischen Mehrwerts, den die Kapitalisten nicht für ihren Konsum verprassen (auch wenn sie das könnten), sondern zur Erweiterung (Akkumulation) ihres Kapitals einsetzen.

 Der vom Statistischen Bundesamt erfasste Wert für Erneuerung und Erweiterung von Sachkapital hatte 2006 eine Größenordnung von 411 Mrd. Euro - 17,8 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt BIP. Abgesehen von 32 Mrd. staatlicher Investitionen stammten Produktionsmittel im Wert von 379 Mrd. aus den Mitteln der Kapitalistenklasse.

Bei Berechnungen des kapitalistischen Reichtums wird der Wert der Sachanlagen gerne und oft vergessen. Diese Produktionsmittel wurden und werden aber aus dem Mehrwert (dem privaten Reichtum) der Kapitalistenklasse angeschafft und sie bleiben Eigentum dieser Kapitalisten.

Diese Produktionsmittel sind Gänse, die den Kapitalisten goldene Eier legen. Wer den Kapitalreichtum beziffern will, der sollte auch den Wert dieser Gänse zum Wert der gelegten Eier hinzurechnen. Kapitalreichtum ist mehr als nur Geldreichtum. Geldreichtum verbraucht sich und verschwindet. Kapitalreichtum erneuert und vermehrt sich.

Der Anteil der Kapitalinvestitionen am BIP ist in wichtigen kapitalistischen Ländern rückläufig. Gewissermaßen gibt es hier eine chronische Überproduktion von Goldgänsen, die immer kleinere Eier legen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um aus diesem relativen Rückgang der Kapital-Investitionen eine chronische Erkrankung des Kapitalismus in den industriellen Kernländern herauszulesen.

Siehe dazu die Grafik 4) aus Wikipedia.

Nach Abzug der Kapitalkosten blieben 2006 vom gesellschaftlichen Reichtum in Deutschland noch Waren und Dienstleistungen im Wert von 1773 Mrd. Euro. Auch die können noch nicht an alle Gesellschaftsmitglieder zu privatem Konsum verteilt werden. Ein Teil dieser Werte, wie behördliche Aktenordner und Büroklammern, aber auch Handschellen, Gummiknüppel und Panzer, werden nicht privat, sondern öffentlich verwendet und verbraucht. Im Jahr 2006 machten diese öffentlichen Sachkosten 426 Mrd. Euro.

Zu diesen sachlichen Staatskosten sind noch die personellen Staatskosten zu rechnen, die Personalkosten im Öffentlichen Dienst von 167 Mrd. Euro. Die eigentlichen Staatskosten der Bundesrepublik machen also insgesamt 593 Mrd. Euro oder 26 Prozent des BIP.

Die gesamten Bruttoausgaben des bundesdeutschen Staates machten im Jahr 2006 aber 1054 Mrd. Euro. Davon flossen netto 461 Mrd. Euro über Transfers wieder an die Gesellschaft zurück: Entweder an die Kapitalisten (durch Subvention) oder an die aktiven und inaktiven Lohnarbeitern durch Rentenzahlungen, Arbeitslosengeld oder sonstige Beihilfen zur Ausbildung oder zum Lebensunterhalt.

Am Verhältnis der nackten Staatskosten von 593 zu den "sozialen" Leistungen von 461 Mrd. Euro können wir die Effektivität dieses Staatsapparates messen: Die Gesellschaftsmitglieder pumpen über Steuern und Abgaben rund 1000 Milliarden in diesen Moloch. 460 Milliarden gibt er wieder an die Gesellschaftsmitglieder zurück. Wahrlich eine "soziale" Leistung!

Für das Haushaltjahr 2003 hatte ich beispielhaft die Finanzen der bundesweiten Arbeitsämter untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass von 100 Euro eingezahlten Beiträgen nur 44 wieder an die Versicherten zurückgegeben werden.

Unser Sozialstaat ist ein Umverteilungsapparat, der sich unter sozialem Deckmäntelchen selber bereichert. Das hat er mit karitativen Großorganisationen gemeinsam. Die Staatsbediensteten sind schlechte Verwalter des gesellschaftlichen Reichtums und ihre Vermögensverwaltung wird nicht von der Basis, den Versicherten, kontrolliert. Eine direkte und selbstbestimmte Verwaltung der Sozialkassen durch die Versicherten wäre eine weit bessere und effizientere Möglichkeiten, die Sozialkassen zu verwalten.

Kommen wir zum Ende und betrachten noch Grafik 6). Es bleiben noch 1347 Mrd. Euro für den Privatverbrauch aller Gesellschaftsklassen.

Wollten wir die 2006 für privaten Konsum verfügbare Waren- und Dienstleistungsmenge auf alle Leute gleich verteilen, ergäbe das folgende Rechnung:

1347 Mrd. geteilt durch 82 Millionen Menschen in Deutschland ergäbe ein Netto-Jahreseinkommen pro Kopf von 16.420 Euro oder ein monatliches Einkommen für jeden Einzelnen von knapp 1370 Euro - egal welchen Alters.

Tatsächlich wird aber der konsumierbare Reichtum in Deutschland nicht gleichmäßig oder irgendwie "gerecht" verteilt. Die Verteilung des jährlichen Reichtums geschieht entlang der Eigentumsgrenzen: Produktionsmittelbesitzer bekommen (in der Regel) viel. Wer keine Produktionsmittel besitzt, bekommt (in der Regel) wenig. Dazwischen liegen die Staatsbediensteten.

Betrachten wir die drei Gruppen im Einzelnen:
1) 595 Mrd. Euro standen 2006 zur Verfügung für rund 56 Millionen Menschen, die direkt oder indirekt von Lohneinkommen leben müssen. Im Großen und Ganzen stammt der Lebensunterhalt der aktiven Lohnarbeiter aus dem Nettolohn, der Lebensunterhalt der inaktiven Lohnabhängigen stammt aus dem Bruttoanteil (plus Arbeitgeberbeitrag) der gesellschaftlichen Lohnsumme.

Statistisch gesehen hatte jeder Einzelne dieser aktiven und inaktiven Lohnabhängigen im Jahr 2006 ein Netto-Jahreseinkommen von 10.625 Euro zur Verfügung, macht 885 Euro im Monat.

Natürlich gibt es innerhalb der Lohnabhängigen deutliche Einkommensunterschiede. Das ändert nichts an der Tatsache, dass für 56 Millionen Lohnabhängige nur diese 595 Mrd. Euro zur Verfügung standen. Was die einen mehr hatten, hatten andere weniger. Jedenfalls ist das der Standpunkt unserer Politikagenten.

Sie reden zum Beispiel vom "Generationenvertrag" und behaupten, dass die aktiven Lohnarbeiter sparen (also weniger konsumieren sollen), damit die Rentner oder sonstige Transferempfänger besser leben. Oder es wird gesagt, das Lohnniveau in Deutschland sei zu hoch, deshalb gehe es den Arbeitslosen so schlecht usw. Die deutschen Gewerkschaften schützten einigermaßen erfolgreich das Einkommensniveau der aktiven Lohnarbeiter und kümmerten sich nicht um die Einkommensverhältnisse derjenigen, die von Transferzahlungen leben müssen. Immer steht dahinter die Vorstellung einer begrenzten gesellschaftlichen Lohnsumme, die an die Millionen aktiven und inaktiven Lohnabhängigen verteilt wird.

2) Armut durch Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter kennen die Lohnarbeiter im Öffentlichen Dienst kaum - vor allem nicht die besonders privilegierte Gruppe der Beamten. Die Staatsbediensteten einschließlich einer guten halben Million Staatspensionäre teilten sich 2006 eine Konsummenge von 167 Mrd. Euro, ergibt durchschnittlich pro Kopf 33.400 Euro Nettoeinkommen im Jahr - das Dreifache der normalen Lohneinkommen. Auch diese Einkommen sind in Wirklichkeit sehr ungleich verteilt, dennoch ist der Topf für die Staatsbediensteten pro Kopf dreimal größer.

3) Niemand wundert es: "Systemgewinner" sind die Gruppe der Selbständigen und Kapitalisten: Im letzten Jahr teilten sich 4 Millionen Selbständige eine Netto-Profitsumme von 585 Mrd. Euro, ergibt ein statistisches Durchschnittseinkommen von 146.250 Euro netto pro Kopf und Nase.

Jeder weiß, es gibt auch selbständige Hungerleider. Was die weniger haben, das haben die eine Million wirklichen Kapitalisten mehr. (Wirkliche Kapitalisten sind im Sinne von Karl Marx diejenigen, die sich durch fremde Arbeit bereichern). Der Topf, aus dem sich vier Millionen Selbständigen bedienen, ist fast ebenso groß wie der Topf, aus dem 51 Millionen Lohnabhängige abgespeist werden. Na denn, kräftigen Appetit, ihr Herren Kapitalisten!

Datengrundlage: Statistisches Bundesamt

Text von Wal Buchenberg, Grafiken von frosch, 1. Mai 2007

(überarbeitet am 3. Mai 2009)

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