4. Der Wirtschaftskreislauf – Produktion wofür?

4.1. Produktion für den Bedarf?

Die sowjetische Produktion begann mit einer Sollplanziffer, die als Direktive an einen Betrieb X. geschickt wurde. Der Betrieb X. produzierte im Produktionsvorgang P ein Produkt und meldete dann an die Planbürokratie die Ist-Ziffern seiner Produkte. Damit war für Betrieb X. der Produktionsvorgang abgeschlossen.

Dies kann in die Formel gebracht werden:

Direktive mit Sollziffer an Betrieb ... P ... Produkt – Istziffer an Planer.

Aus der Istziffer wurden von den Planern dann neue Sollziffern für den Betrieb X und andere Betriebe entwickelt. Die Tätigkeit der Planbürokraten bestand darin, die vielen Planziffern aufeinander zu beziehen und miteinander abzustimmen.

In den Worten der Sowjetplaner bestand jedoch das Ziel ihres Wirtschaftens nicht dem Vergleich von Istziffern mit den Sollziffern und der Entwicklung neuer Sollziffern. Noch im Jahr 1952 behauptete Stalin, die Sowjetwirtschaft sorge für die „Sicherung der maximalen Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft...[1] Ein späteres Handbuch der Planbürokraten meint: „Die Befriedigung des Bevölkerungsbedarfs ist unmittelbares Ziel der sozialistischen Gesellschaftsordnung...[2]

In einer nicht durch Geld bestimmten Gesellschaft müssen die Güter nicht nur in passender Menge, Varietät und Qualität produziert, sondern auch an den jeweils bedürftigen Verbraucher verteilt werden. Falls dies nicht vollständig und in jedem einzelnen Punkt erfüllt wird, bleiben individuelle und gesellschaftliche Bedürfnisse einerseits unbefriedigt, und wurde andererseits die Arbeit an die produzierten, aber nicht verbrauchten Güter verschwendet.

Eine bedarfsgerechten Produktion ist überhaupt nur möglich, wenn alle Gesellschaftsmitglieder ihre Bedürfnisse gegenseitig anmelden und darüber ein rationaler Entscheidungsprozess stattfindet, der Art, Qualität und Menge dieser Bedürfnisse mit den Produktionskapazitäten abstimmt. „Nur wo die Produktion unter wirklicher vorherbestimmender Kontrolle der Gesellschaft steht, schafft die Gesellschaft den Zusammenhang zwischen dem Umfang der gesellschaftlichen Arbeitszeit, verwandt auf die Produktion bestimmter Artikel, und dem Umfang des durch diese Artikel zu befriedigenden gesellschaftlichen Bedürfnisses.[3] Auf dem heutigen Stand der Technik könnte eine bedarfsgerechte Produktion folgendermaßen organisiert sein:

1. Auf kommunaler Ebene werden Produkt- und Dienstleistungsbörsen eingerichtet, die landesweit vernetzt sind. Alle Gesellschaftsmitglieder melden ihren privaten Bedarf an diese kommunalen Börsen. Hinzu kommt noch die Nachfrage der Kommunen für Gemeinschaftsaufgaben wie Bildung, Kranke, Notzeiten etc., für die die Kommunen besondere Fonds in Form von Arbeitsguthaben und Sachmittel unterhalten. An diese Börsen melden die Betriebe ihre Produktions- und Serviceangebote und bestellen ebenfalls ihre betriebliche Nachfrage. Ein Landesfonds mit Weltgeld wird eingerichtet für den Waren- und Dienstleistungsverkehr mit dem kapitalistischen Ausland.
Die kommunalen Börsen verrechnen landesweit Angebot und Nachfrage. Die Kommunen übernehmen die Verteilung und Transport der hergestellten Produkte und bestellten Dienstleistungen.
2. Alle Grundsatzentscheidungen über Produktion und Verteilung werden in Urabstimmungen auf betrieblicher, kommunaler oder landesweiter Ebene getroffen. Entscheidungen einer Repräsentationsebene können durch Urabstimmung der jeweils Vertretenen korrigiert werden.
3. Die bisherigen Betriebsräte der Belegschaften treten an die Stelle der Aufsichtsräte des Kapitals und übernehmen deren Rechte. Kleinbetriebe werden in Genossenschaften umgewandelt.
4. Alle Repräsentanten (Räte) in Betrieb und öffentlicher Verwaltung (Stadträte, Landesräte) werden (zwei)jährlich in geheimer und direkter Persönlichkeitswahl (keine Listenwahl) gewählt.
5. Alle Betriebe führen ihre Kalkulation, Buchführung und Forschung und Entwicklung öffentlich (z.B. im Internet).
6. Alle Sitzungen von Repräsentanten (Betriebsräte, Stadträte, Landesräte) sind öffentlich für die von ihnen Vertretenen (werden z.B. auch live im kommunalen oder landesweiten Fernsehen übertragen).
7. Jeder hat Anspruch auf dieselbe Ausbildungszeit. Nach einer theoretischen und praktischen Allgemeinausbildung ist die Verteilung der restlichen Bildungsjahre über ein Lebensalter frei.
8. Alle Beschäftigungsverhältnisse werden auf Zeit abgeschlossen. Die langjährige Fesselung an einen Betrieb oder eine einzige Beschäftigung stirbt aus.

          Man wird gegen dieses Modell einer Bedarfswirtschaft einwenden, dass doch tausend Meinungsverschiedenheiten auftreten werden, weil jedes Gesellschaftsmitglied eigene Bedürfnisse hat, die sich von den Bedürfnissen der anderen unterscheiden. Das ist völlig richtig. Aber erst in einer solchen Bedarfswirtschaft wird auf die individuell verschiedenen Bedürfnisse Rücksicht genommen, und findet eine gemeinsame Debatte vor der Produktionsentscheidung statt, was, wie und in welchem Umfang hergestellt werden kann und hergestellt werden soll. Weder im Kapitalismus noch im Sowjetsystem wird für die vorhandenen Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder gewirtschaftet. In beiden Wirtschaftssystem spielen die wirklichen Verbraucherbedürfnisse so gut wie keine Rolle für die Produktionsentscheidungen.

 

4.2. Kapitalistische Produktion für Angebot und Nachfrage

Der kapitalistische Produktionsvorgang läuft nach der Formel ab:

G – W ... P ... W’ – G’.

Geld, das Arbeitskraft und Produktionsmittel kauft, steht am Anfang, vermehrtes Geld nach Verkauf der produzierten Ware steht am Ende. Ziel und Zweck der kapitalistischen Produktionsweise ist die Geldvermehrung in der Hand des Kapitalisten.

Zwar wird im Kapitalismus nicht für den Bedarf, sondern für Profit produziert, trotzdem spielt der Bedarf eine wichtige Rolle, denn der Profit, der in der produzierten Ware steckt, kann nur in Geld verwandelt werden, wenn die Ware auch wirklich und vollständig verkauft wird. „In W' - G' ist der Verkauf von W' direkt enthalten; aber W' - G', Verkauf von der einen Seite, ist G -W, Kauf von der andern, und die Ware wird endgültig nur ihres Gebrauchswertes wegen gekauft, um (von Zwischenverkäufen abgesehen) in den Konsumtionsprozess einzugehen, sei dieser nun individuell oder produktiv, je nach der Natur des gekauften Artikels.[4] Im Kapitalismus wird jedoch erst nach fertiger Produktion und Auslieferung der Produkte an den Handel sichtbar, wie groß und welcher Art die Nachfrage oder der Bedarf ist. Die Kapitalisten versuchen zwar durch Marktforschung diese systembedingte Unsicherheit zu reduzieren. Aber wie sich nicht zuletzt bei der Investitionsentscheidung über die UMTS-Lizenzen gezeigt hat, können und wollen Kapitalisten nicht warten, bis ein Bedarf sichtbar ist. Sie produzieren für Profit und hoffen, dass sich die Nachfrage für ihre Produkte schon finden wird. In jeder kapitalistischen Produktionsentscheidung steckt Spekulation. In einem Buch über Alan Greenspan, den Finanz-Guru der neunziger Jahre, heißt es: „Mr. Greenspan trifft schwierige Entscheidungen häufig aus seinem Bauch heraus.“ – Denn: „Die amerikanische Wirtschaft ist kompliziert und in jeder Prognose steckt auch ein Stück pure Vermutung.[5]

Unsere Wissensbeamten an den Universitäten dürfen jedoch nicht zugeben, dass Erfolg im Kapitalismus auf Spekulation und Bauchentscheidungen beruht. Sie lehren eine Theorie, nach der die Preisbewegungen ein vorhandenes Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage beseitigen. Diese Harmonielehre eines „Marktgleichgewichts“ ist jedoch nur kapitalistischer (Selbst)Betrug. Steigende Preise verdrängen nur solche Konsumenten aus einem knappen Markt, die über zu geringe Geldmittel verfügen. Nicht der wirkliche Bedarf verändert sich bei steigenden Preisen, sondern nur die zahlungsfähige Nachfrage.

Wenn Wohnungen knapp sind, sorgen nach kapitalistischer Vorstellung steigende Wohnungspreise für ein „Marktgleichgewicht“: Die Zahl der Wohnungssuchenden geht zurück. Dass die Zahl der mit ihrer Wohnung Unzufriedenen und die Zahl der Wohnungslosen dann steigt, kümmert diese Markttheoretiker nicht, sie tauchen auf dem Wohnungsmarkt nicht auf. Es ist ihr eigenes Pech, und die „wissenschaftliche“ Theorie der Ökonomen behält recht. Allein der Geldbesitz, die Kaufkraft, bestimmt im Kapitalismus die Nachfrage und damit über Art und Menge der Bedürfnisse, die befriedigt werden.

 

4.3. Diktierter sowjetischer Bedarf

Im Kapitalismus regiert König Zufall, herrscht weitgehende Anarchie in der Volkswirtschaft. Die Wirtschaftswissenschaftler können diese Tatsache nur schlecht mit ihrer Theorie bemänteln, dass durch Preisbewegungen notwendig ein Gleichgewicht entsteht, falls das Angebot die gesellschaftliche Nachfrage nicht deckt. Sie berücksichtigen dabei nicht wirkliche Bedürfnisse, sondern nur zahlungskräftige Nachfrage.

Anhand der Direktivpreise war zu sehen, dass in der Sowjetwirtschaft Preisbewegungen nur in geringem Maß die Nachfrage und noch weniger das Angebot steuern konnten. Da Geld in den sowjetischen Wirtschaftsabläufen eine geringere Rolle als im Kapitalismus spielte, konnten und wollten die Planbürokraten die Theorie vom Marktgleichgewicht nicht übernehmen. Sie behaupteten: „Es ist falsch, sich vorzustellen, dass die Preise Angebot und Nachfrage ausgleichen sollen. Das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ... ist die Aufgabe der Planungsorgane.[6] Die Planungsbürokraten legten im Sowjetsystem mehr oder minder selbstherrlich fest, wie groß die gesellschaftliche Nachfrage sein darf.

Dabei unterstellten die Planbürokraten fälschlich, dass die individuelle Nachfrage eine feste Größe sei, die – multipliziert mit der Anzahl der Gesellschaftsmitglieder – als berechenbare Größe in den von ihnen beschlossenen Produktionsplan eingehen könne.

Das hat Karl Marx ausdrücklich als Illusion bezeichnet: Es scheint also, dass auf der Seite der Nachfrage eine gewisse Größe von bestimmtem gesellschaftlichem Bedürfnis steht, das zu seiner Löschung bestimmte Menge eines Artikels auf dem Markt erheischt. Aber die quantitative Bestimmtheit dieses Bedürfnisses ist durchaus elastisch und schwankend. Seine Fixität ist Schein.....[7]

Die Planbürokraten meinten, dass sie den gesellschftlichen Bedarf kennen würden – zwar nicht als individuelle Größen, aber als gesellschaftliche Summe. Über den beschönigenden Begriff „Bedarfslenkung“ heißt es im DDR-Wörterbuch der Ökonomie: „System von Maßnahmen zur aktiven Einflussnahme auf den Bedarf, insbesondere auf Umfang und Struktur des Bevölkerungsbedarfs nach Konsumgütern, um diesen langfristig und kurzfristig zu steuern. Ziel der Bedarfslenkung sind die Verwirklichung wichtiger Prinzipien der sozialistischen Lebensweise, die Herstellung einer weitgehenden Übereinstimmung zwischen dem Bedarf und den Angebotsmöglichkeiten der Volkswirtschaft sowie die Sicherung einer reibungslosen Zirkulation der Konsumtionsmittel bei niedrigen Kosten.[8]

Im Sowjetsystem konnten die Gesellschaftsmitglieder noch weniger als im Kapitalismus über ihre Bedarfsbefriedigung entscheiden. Vielmehr legten die Planbürokraten fest, welche Bedürfnisse sie für wichtig hielten. Nur solche von der Planbürokratie akzeptierten Bedürfnisse wurden in den Plan aufgenommen. Die Prawda gab offen zu, dass nur solche Gebrauchswerte berücksichtigt würden, „die von den oberen Behörden erkannt, gebilligt und in eine Direktive verwandelt worden sind[9].

Im zentralen Direktivplan (Gosplan) der Sowjetunion wurden zuletzt wertmäßig 80 % aller zu produzierenden und zu verteilenden Produkte und Waren festgelegt und bestimmt, die Produktionsgüter sogar zu 97%.[10]

In der Anfangszeit der Russischen Revolution und der Sowjetunion, in einer Situation des allgemeinen Mangels, konnte ein zentraler „Direktivplan“ die Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft noch einigermaßen richtig widerspiegeln.

Die Bolschewiki hatten sich zum Beispiel in der Russischen Revolution mit der Losung durchgesetzt: Frieden, Brot und Land! Das waren damals die grundlegenden Bedürfnisse des russischen Volkes. Das damalige durch Zarismus und Krieg verursachte Leid und Elend war so himmelschreiend, dass es von einer kleinen Minderheit der Gesellschaft, den Bolschewiki, erkannt, aufgegriffen und in ein politisches Programm umgesetzt werden konnte.

Je entwickelter die gesellschaftlichen Bedürfnisse werden, um so weniger können sie von einer kleinen Elite festgestellt und berücksichtigt werden, selbst wenn diese Elite die besten Absichten hätte. Diese Erfahrung musste auch Lenin machen und zwang ihn zur Formulierung der Neuen Ökonomischen Politik: Mit der NÖP kehrten Lenin und die kommunistische Partei wieder zurück zur Marktregulierung und gestanden indirekt ein, dass sie nicht mehr in der Lage waren, die sowjetische Wirtschaft und Gesellschaft zentral zu steuern.

Erst als diese Wirtschaftsform, die zentrale Planung für ein paar staatliche Großbetriebe und Marksteuerung für die ganze handwerkliche und bäuerliche Kleinproduktion kombinierte, in den Jahren 1927/28 in die Krise geriet, kehrten Stalin und die Parteimehrheit zu einem erneuerten Modell des „Kriegskommunismus“ der ersten Revolutionsjahre zurück und beanspruchten wieder für die Partei das Definitionsrecht für gesellschaftliche Bedürfnisse.

Selbst zu dieser Zeit lag noch die abstrakte Notwendigkeit einer Industrialisierung des Landes auf der Hand, strittig mussten dagegen Entwicklungsrichtung, Umfang, Tempo und Methoden bleiben. Weil die abstrakte Notwendigkeit einer beschleunigten Industrialisierung jedoch auf der Hand lag, hatten Stalin und die Bolschewiki ein notorisch gutes Gewissen, wenn sie das Machtmonopol beanspruchten, der ganzen Gesellschaft auch alle Details dieser Industrialisierungsaufgabe mit Gewalt und Terror vorzuschreiben.

Je ehrgeiziger ihre Wirtschaftspläne waren, und je weniger sie die Bedürfnisse der Werktätigen berücksichtigten, desto nötiger war der Druck von oben, desto nötiger wurden bürokratische und polizeiliche Zwangsmittel. Falls der festgelegte Plan dann nicht erfüllt wurde – und er wurde nie erfüllt –, war nicht mehr feststellbar, ob er scheiterte, weil er falsch geplant war oder weil es Obstruktion und Widerstand („Klassenkampf“) gegeben hatte, den der obrigkeitliche Druck und staatliche Terror nicht überwinden konnte.

Für das Stalinsche Regime bedeutete jedes Beharren auf individueller oder gesellschaftlicher Eigenständigkeit eine mangelnde Unterordnung unter das Diktat der Partei, war Opposition, gefährdete den Wirtschaftsplan und wurde daher nach Paragraf 58 Strafgesetzbuch[11] verfolgt. „Wo ein Gesetz ist, da findet sich auch das Verbrechen.[12] Der Stalinsche Terror schlug jede absichtliche oder unabsichtliche Insubordination als staatsfeindliche Opposition nieder. Dieser Terror war eine systemnotwendige Voraussetzung für den Erfolg von Zwangskollektivierung und beschleunigter Industrialisierung, die von einer herrschenden Minderheit gegen den Willen der Gesellschaft, mindestens aber über die Köpfe der Gesellschaftsmitglieder hinweg, entschieden und durchgezogen wurden.

Dass Chruschtschow nach dem Tode Stalins diesen Terror als systemwidrige Verfehlung hinstellte, war nur eine schlaue Lüge: Chruschtschow versprach damit nichts anderes als weitere enorme Wirtschaftswachstumsraten ohne den damit verbundenen behördlichen und polizeilichen Druck. Diese Schwindelei hat nicht lange gehalten. Chruschtschows Wirtschaftsreformen und Wirtschaftspläne wurden später offiziell von der Parteispitze nach seiner Entmachtung als „Phantasterei“ und „großmäulige Versprechungen[13] bezeichnet.

Herr Honecker und die anderen Statthalter des Sowjetsystems in der DDR hatten trotz ihres despotischen Definitionsrechts für alle gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnisse bis zuletzt ein notorisch gutes Gewissen. Honeckers eigene engen Vorstellungen von materiellen Bedürfnissen waren: Eine Wohnung mit Fernseher und Sitzgarnitur, eine Kühltruhe mit Wildbraten und ein Gartenhaus im Grünen. Dafür hatten er und die Partei in der DDR gesorgt, also müssten doch alle Menschen zufrieden sein?! So diktierten die DDR-Bürokraten ihren Untertanen als „genehmigten Bedarf“, was ihren engen Vorstellungen eines materiell gesicherten Lebens entsprach.[14]

Ein Bürokratenhirn nimmt nur wahr, dass es „im Interesse der Werktätigen handelt“, es kann nicht gleichzeitig wahrnehmen, dass dieses „Handeln im Interesse anderer“ zwangsläufig nichts anderes als bürokratische und schließlich – wenn Widerstand auftaucht - despotische Bevormundung und Unterdrückung bedeutet. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen einem christdemokratischen, sozialdemokratischen, sozialistischen oder kommunistischen Bürokratengehirn.

Je mehr der behördliche Druck in der Sowjetunion unter der erst altersmilden, dann altersschwachen Herrschaft eines Breschnew und seiner greisen Nachfolger nachließ, desto illusorischer wurde die Erfüllung der  sowjetischen Wirtschaftspläne. Aber selbst dann gab es immer noch den amtlichen Trost der „ewig siegreichen Bolschewiki“, dass irgendwelche Planziffern immer erreicht wurden. Fehlt es an Reißverschlüssen? Aber bei Fahrradspeichen wurde das Soll erfüllt! Strümpfe sind nicht erhältlich? Aber das Plansoll für Schrauben wurde übererfüllt. So glich für die Sowjetplaner eine gute Ziffer ein andere schlechte aus.

Es wurde immer deutlicher: Die Planerfüllung war das einzige Ziel der Sowjetwirtschaft, die Bedürfnisbefriedigung blieb bloße Propaganda.

DISKUSSION

 


[1] Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR. 1952

[2] Wörterbuch der Ökonomie. Sozialismus. S. 131.

[3] Karl Marx, Das Kapital III. MEW 25, S. 197.

[4] Karl Marx, Das Kapital II. MEW 24, S.64.

[5] Justin Martin: „The Man Behind Money“. Zit. n. ‚The Economist’ 18. November 2000.

[6] Sitnin, 1968, zitiert nach Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 181.

[7] Karl Marx, Das Kapital III: MEW 25, S. 198.

[8] Wörterbuch der Ökonomie. Sozialismus. S. 132f.

[9] Prawda 1985, zitiert nach Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S.104.

[10] vgl. Nove, Alec: The Soviet Economic System. Boston, Third Edition, 1986., S. 26 u. S.29.

[11] vergl. A. Solschenizyn: Der Archipel Gulag. Bern 1974. S. 58 – 76.

[12] vergl. A. Solschenizyn: Der Archipel Gulag. Bern 1974. S. 76.

[13] zitiert nach Altrichter, Helmut: Kleine Geschichte der Sowjetunion 1917-1991. München 1993, S. 149.

[14] In einem seiner letzten Interviews erklärte E. Honecker: „Unsere Sorge muss sein, dafür zu sorgen, dass die Menschen Arbeit haben, eine Wohnung, Kleidung, Essen, dass sie ihre kulturellen Bedürfnisse befriedigen können und so weiter.“ Herzberg, Andert: Der Sturz. Honecker im Kreuzverhör. Berlin 2. Aufl. 1991, S. 76.